Unsentimentale Anmerkungen zur Weltlage

Allmende

Ich möchte mich heute mit ein paar aktuellen Problemen beschäftigen und mich dabei eines mittelalterlichen Konzepts der Ressourcenverwendung bzw. dessen Bezeichnung bedienen. Die „Allmende“ ist eine Sonderform der sog. freien Güter. Unter freien Gütern verstehen die Wirtschaftswissenschaften Ressourcen, die kostenlos für alle verfügbar sind. In älteren Lehrbüchern werden darunter etwa Luft, Wasser oder Wind gezählt. Jeder darf kostenlos atmen, auf dem Meer herumfahren oder sich vom Wind durchpusten lassen. Unter „Allmende“ ist demgegenüber ein freies Gut für eine begrenzte Personenzahl zu verstehen. Historisch bezieht sich dieser Begriff auf kommunale Flächen, die für alle Gemeindemitglieder – aber nur für diese! – kostenlos zur Verfügung stehen. Beispiele hierfür sind etwa die Gemeindewiese oder ‑weide und der Gemeindewald, wo alle Dorfbewohner ihre Tiere weiden bzw. sich mit Holz versorgen können.

Kommt es zu einer Übernutzung der Allmende, beginnt ein Wettlauf; jeder möchte die Allmende möglichst intensiv nutzen, damit andere Berechtigte sie nicht schon bis zur Erschöpfung genutzt haben, bevor man selbst auf sie zugreift. Das Resultat ist die Zerstörung der Allmende. Es gibt nun zwei prinzipielle Wege zur Lösung dieses Problems: Entweder wird die Allmende von einem freien Gut zu einem Wirtschaftsgut (so der wirtschaftswissenschaftliche Begriff) – ein Weg, der z. B. in Deutschland überwiegend eingeschlagen wurde, indem Gemeindeflächen privatisiert oder als Gemeindeeigentum an den meistbietenden Nutzer verpachtet wurden; oder es bleibt bei der Allmende, die aber nun einem rigorosen Bewirtschaftungsreglement unterworfen wird – indem etwa festgelegt wird, wie stark jemand sie nutzen darf. Sie ist damit weiter ein freies Gut, da ihre Nutzung kostenfrei ist, zugleich ist sie aber kein freies Gut mehr, weil sie nicht beliebig genutzt werden darf.

Inwieweit kann das Konzept der Allmende helfen, heutige Probleme besser zu verstehen und vielleicht sogar einer Lösung zuzuführen? Ich möchte im folgenden ein paar Punkte aufführen, die zeigen, wie sehr aktuelle Auseinandersetzungen um Ressourcennutzung von der Differenz zwischen freien Gütern, Wirtschaftsgütern und (regulierter) Allmende bestimmt werden.

Ein einfaches Beispiel ist das Parken in einer Stadt. Entweder kann jeder parken, wo es einen freien Parkplatz gibt (freies Gut), oder das Parken ist kostenpflichtig (z. B. Parkhäuser privater Betreiber, Parkgebühren auf öffentlichen Stellflächen; =Parkflächen als Wirtschaftsgut). In vielen Städten gibt es einen Mix aus beidem, was an der prinzipiellen Zuordnung zu den beiden Kategorien nichts ändert. Wo aber ist die Allmende? Sie verbirgt sich hinter der Nutzungsform des Anwohnerparkens. Nur für die Bewohner etwa eines Stadtviertels ist das Parken erlaubt und/oder kostenlos. Um eine Übernutzung des Parkraums zu verhindern, gibt es für die Anwohner nur eine beschränkte Anzahl von Parkerlaubnissen; und die Monetarisierung der Nutzung (d. h. die Überführung in einer Wirtschaftsgut) wird dadurch unterbunden, dass die Parkerlaubnis an das Fahrzeug eines Berechtigten gebunden ist, dieser die Erlaubnis also nicht verkaufen kann.

Komplizierter wird es, wenn auf derselben Fläche unterschiedliche Nutzungen konkurrieren. Das ist etwa dann der Fall, wenn das freie Gut Luft in einer Stadt von Autofahrern als Müllkippe für Abgase verwendet wird, von den Anwohnern hingegen als Atemluft. Die Übernutzung der Luft durch Autofahrer äußert sich aktuell in der Frage der Belastung mit Stickoxiden, die von den Autofahrern an das freie Gut Luft abgegeben werden, was bei den Anwohnern die eigene Nutzung der Luft mit z. T. hohen Kosten etwa in Form von gesundheitlichen Problemen verbindet. In dieser Situation treten Konflikte um die Frage auf, ob Luft in den betroffenen Gebieten noch ein freies Gut sein kann. Als Alternative bietet sich einerseits die Umwandlung der Luft in ein Wirtschaftsgut an, indem Autofahrer für die Fahrt in eine Stadt eine besondere Gebühr zahlen müssen. Andererseits kann es auch zu einer Regulierung der Luftnutzung kommen (Fahrverbote u. ä.).

Ganz ähnlich sieht es bei der touristischen Übernutzung von Städten aus. Der freie Zugang zu einer Stadt wird dann zugunsten einer Kontingentierung oder Kommerzialisierung (z. B. über Eintrittsgebühren) aufgehoben.

Am deutlichsten wird die Frage, um welche Art von Gut es sich handelt, bei den klassischen freien Gütern wie Luft oder Meer(wasser). Während das Problem der Überfischung durch Monetarisierung (z. B. Lizenzierung) und/oder Allmendeformen (z. B. begrenzter Zugang, Fangquoten) zumindest in den Hoheitsgewässern und Wirtschaftszonen der Anrainerstaaten relativ einfach in den Griff zu bekommen ist, scheint die bisher kostenlose Nutzung des Meeres als Müllkippe z. B. für Plastikabfälle sich herkömmlichen Problemlösungen zu verweigern. Da die Privatisierung des Meeres kaum möglich sein dürfte und auch andere Formen der Kommerzialisierung seiner Müllkippenfunktion (etwa zusätzliche Abgaben auf Plastikmüll, deren Erträge für die Reinigung des Meeres verwendet werden) wenig erfolgversprechend sind, ist wohl die Allmendenutzung mit strengen Regulierungen die einzig gangbare Lösung. Wie dies jedoch kontrolliert werden soll und nach welchen Kriterien z. B. einzelnen Ländern ihr jeweiliges Ausmaß an Nutzungsrechten gewährt werden soll, ist völlig ungeklärt.

Wie beim Meer geht auch die Rolle der Luft als freies Gut zu Ende. In ihrer Funktion als Müllkippe für Abgase wie CO2 ist die Übernutzung offensichtlich, der Klimawandel als eine Folge nur zu gut belegt. Wie in allen vergleichbaren Fällen wollen die größten Nutzer dieser Müllkippe nicht, dass sie ihren Status als freies Gut verliert (sog. Klimaskeptiker), ziehen sie doch den größten Vorteil daraus, die Luft kostenlos zur Verfügung zu haben. Die Gegenbewegung besteht – wie in allen bisher beschriebenen Fällen – aus zwei grundsätzlichen Richtungen: aus denjenigen, die das Problem kommerzialisieren und damit in den Griff bekommen wollen (z. B. durch CO2-Zertifikate für luftverschmutzende Unternehmen), und denjenigen, die die Nutzung stark regulieren wollen (z. B. durch Klimaabkommen). Beiden Bestrebungen ist bisher kein durchschlagender Erfolg beschieden, aber auch hier scheint die strikte Regulierung der bessere Weg zu sein, nicht zuletzt da Zertifikate leicht für Betrugskartelle verwendet werden können. Bei der Regulierung bleibt lediglich das kleine Problem zu lösen, dass große Wirtschafts- und Militärmächte stark genug sind, sie einfach zu unterlaufen.

Ein letztes Thema ist ebenfalls globaler Natur. Es betrifft ein Gut, um das sich private und staatliche Eigentümer streiten: die Daten der Menschen in einzelnen Ländern, tendenziell auf der gesamten Erde. Zur Zeit scheinen die privaten Eigentümer in dieser Auseinandersetzung (noch) die Nase vorn zu haben. Die bloße Menge der verfügbaren Daten und immer ausgefeiltere Techniken, diese zu verbinden, versetzen Facebook, Google & Co. in die Lage, Informationen über Menschen zu generieren und diese dann in ihrem (Profit‑)Interesse zu manipulieren. Das Argument des Datenschutzes geht insofern an der Realität vorbei, als ein Unternehmen wie Facebook überhaupt kein Interesse daran hat, dass etwa Hacker Daten abgreifen; vielmehr soll das Monopol an diesen Daten gerade aufrechterhalten werden.

Während die Privatunternehmen zumindest teilweise darauf angewiesen sind, dass die einzelnen Menschen ihnen ihre Daten kostenlos übereignen, können Staaten die Daten ihrer Bürger per institutionalisiertem Zwang erfassen. Angesichts der immer weiter fortschreitenden Verfügbarkeit persönlicher Daten in den Händen privater und/oder staatlicher Akteure kann es als illusorisch bezeichnet werden, diese Enteignung rückgängig zu machen und sie in das alleinige Verfügungsrecht der Individuen zurückzuführen. Sie völlig frei zu geben, d. h. zur Nutzung jedes Interessenten zur Verfügung zu stellen, ist demgegenüber zwar möglich, aber ebenso illusorisch, da die aktuellen Besitzer der Daten (Privatunternehmen, Staaten) keinerlei Interesse daran haben, ihr Eigentum zu entwerten. Damit bleibt als einige Möglichkeit, die bestehenden Datenmonopole zu beseitigen, die Einführung einer Art Allmende.

In diese Richtung geht auch ein Vorschlag der (damaligen) SPD-Vorsitzenden Nahles (www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Sonstiges/Daten_fuer_Alle.pdf), große Digitalkonzerne zu zwingen, ihre Daten als „Gemeingut“ zur Verfügung zu stellen. Wer die Verwaltung der Daten übernimmt (z. B. eine Stiftung) und wer Zugang erhält – wodurch das Gemeingut zur Allmende wird –, lässt der Vorschlag offen. Auch staatliche Daten sollen danach öffentlich gemacht werden; wiederum bleibt jedoch unklar, welche Daten wem zur Verfügung gestellt werden sollen. Diese und viele weitere offene Punkte des Vorschlags haben zu deutlicher Kritik geführt. Dennoch dürfte allein aus demokratietheoretischer Sicht kein Weg an der Verwandlung des privaten bzw. staatlichen Eigentums an den Daten der Bevölkerung in eine Allmende-Nutzung vorbeigehen – zumindest wenn die einzelnen Menschen mehr sein sollen als Datenlieferanten, Produzenten kostenloser Waren und Untertanen.

1 Kommentar

  1. Anne

    Interessant und überraschend.
    Viele Grüße von Anne

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