Unsentimentale Anmerkungen zur Weltlage

Kategorie: Standard (Seite 1 von 31)

Hendiadyoin

Immer wieder ist zu lesen, dass eine bestimmte Wortwahl quasi hinter dem Rücken der Leser bzw. Zuhörer diese zur Übernahme einer bestimmten Denkweise verleiten will (sog. Framing). Wesentlich seltener hingegen wird die ganz offene Zerstörung eines konventionellen Inhalts von Wörtern zu ebendiesem Zweck thematisiert. Was ein Grund ist, genau dies zu unternehmen.

Besonders deutlich wird die Sprachmanipulation bei der Auflösung bzw. Zerstörung komplexer Formeln, was an einem Beispiel aus dem Bereich der Hendiadyoin illustriert werden soll. Ein Hendiadyoin ist eine Konstruktion, bei der zwei Begriffe einen dritten repräsentieren. Wenn jemand in einer Prüfung mit Pauken und Trompeten (= nicht nur knapp, sondern ganz und gar) durchfällt, kann es sein, dass Hinz und Kunz (= jeder) davon erfährt, woraufhin der Betreffende mit Sack und Pack (= mit allen Besitztümern) in eine unbekannte Ferne zieht. Eine Auflösung dieser Hendiadyoin läge dann vor, wenn im obigen Satz etwa von Trompeten und Pauken die Rede wäre, von Hinz, Kunz und Karl-Heinz oder von Sack, Pack und Unterwäsche.

Im folgenden soll von einem speziellen Hendiadyoin die Rede sein: der mantraartig angeführten Anrede „Meine Damen und Herren und alle dazwischen und außerhalb“ des Jan Böhmermann in seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“. Im Kern ist das konventionelle „Meine Damen und Herren“ ja nichts anderes als die höflichere Version von „Hallo Leute“. Was kann also die veränderte Formulierung bedeuten?

Wenn „Damen und Herren“ identisch mit „Leuten“ oder auch „allen im Saal und an den Empfangsgeräten“ sind, dann handelt es sich bei den „dazwischen“ um eine Teilmenge der „Leute“ und bei denjenigen „außerhalb“ um eine Menge an Personen, die nicht zu den „Leuten“ gehören. Die erste Gruppe ist noch recht einfach zu identifizieren: Es sind „Leute“, die über die eher distanziert wirkende Formulierung „Damen und Herren“ hinaus eine besondere Nennung verdienen; es kann sich also nur um Personen handeln, die mehr sind als bloße „Leute“, also etwa „Freunde“.

Keine bloße Teilmenge der „Leute“, sondern eine zusätzliche Personengruppe sind diejenigen „außerhalb“. Und wenn jemand „außerhalb“ von „allen“ steht, muss es sich konsequenterweise um eine qualitative Markierung handeln, d. h. um Personen, die so weit über oder unter den „Leuten“ stehen, dass sie einer eigenen Benennung bedürfen. Daraus ergeben sich zwei mögliche Bedeutungen. Die eine Möglichkeit ist jedem bekannt, der einmal an einer politischen oder akademischen Festveranstaltung teilgenommen hat. Denn dort unterliegt die Anrede der Anwesenden einem strengen formalen Code: Zunächst wird der Gastgeber, der Jubilar etc. persönlich angesprochen, dann geht der Gruß an die Eminenzen und Exzellenzen, und erst zuletzt heißt es „Meine Damen und Herren“. Mit den Personen „außerhalb“ können also die Eminenzen und Exzellenzen gemeint sein; der kulturell-politische Hintergrund der Fernsehsendung macht es jedoch relativ unwahrscheinlich, dass Herr Böhmermann tatsächlich irgendwelche Exzellenzen hervorheben will.

Damit bleibt nur der entgegengesetzte Pol der sprachlichen Separierung von Menschen: sie befinden sich so weit unter den „Leuten“, dass diesen die Zusammen-Nennung nicht zugemutet werden kann. Damit kann die skizzierte Auflösung des Hendiadyoin „Meine Damen und Herren“ wie folgt übersetzt werden: „Hallo Leute, liebe Freunde, liebe Neger!“ Damit wird eine Anrede imitiert, die bereits 1962 wohl von journalistischer Seite dem damaligen Bundespräsidenten Lübke angedichtet wurde. Nur die „Freunde“ sind neu. Es gibt also immer noch sprachliche Entwicklungen, die uneingeschränkt begrüßt werden können – man sollte Hierarchien, die man haben will, auch sprachlich markieren. Es bleibt aber die Frage, ob man dafür ein Hendiadyoin zerstören muss.

Öffentliche Verwaltung

Aktuell scheint es kein wichtigeres Thema zu geben als die Überforderung der öffentlichen Verwaltung, insbesondere im Hinblick auf Asylverfahren. Dabei ist sogar von „Kontrollverlust“ (unter anderem: Gauck, Lindner, Spahn, Wagenknecht, Weidel) die Rede.

Die Überforderung der unterschiedlichen Behörden resultiert nach allem, was darüber zu lesen ist, aus einem Dreiklang von Faktoren: der schlechten (personellen wie technischen) Ausstattung, der schlechten Organisation (auch in der Kommunikation zwischen den Behörden) und der mangelnden Arbeitsleistung der Beschäftigten. Selbstverständlich kann die Kombination dieser Faktoren in den einzelnen betrachteten Fällen jeweils ganz unterschiedlich ausfallen; die Zustandsbeschreibung bleibt aber grundsätzlich gültig.

Wenn man mit einem simplen Naturell geschlagen ist, scheint die Lösung dieser Probleme ganz einfach zu sein: die Behörden besser ausstatten, ihre Organisation optimieren und eine leistungssteigernde Mitarbeiterführung implementieren.

Dass diese Lösung aber nur scheinbar naheliegt und eher die grundsätzliche Naivität des Beobachters verrät, ist schon allein daraus abzuleiten, dass solche Vorschläge in den aktuellen politischen Debatten keine Rolle spielen. Dies liegt wohl auch daran, dass das zentrale Ziel der deutschen Politik das Anfüttern einer Milliardärs-Kaste ist; da stören dann Ausgaben für Behördenmitarbeiter nur, insbesondere wenn diese in der Verfolgung von Steuerhinterziehung, Geldwäsche oder organisiertem Betrug aktiv sind. Es geht daher um ganz andere Maßnahmen, denen zugetraut wird, die geschilderten Probleme zu lösen. In letzter Zeit treten vor allem drei Themen bzw. Handlungsvorschläge in den Vordergrund:

1. Offensichtlich ist es ein hervorragendes Instrument zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit von Behörden, exakte Differenzierungen der Bevölkerung vorzuhalten. Während aber auf der Rechten insbesondere die Unterscheidung von Inländern und Ausländern, aber auch von Leistungsträgern und Schmarotzern von zentraler Bedeutung ist, betont die Salonlinke in erster Linie die Differenzierung der Menschen in selbstgewählte Geschlechtskategorien. Beide Richtungen werden demnach als besonders geeignet angesehen, die Arbeitsweise von Behörden zu verbessern. Man müsste sie vielleicht nur noch kombinieren.

2. Eine weitere, hierfür hervorragend geeignete Maßnahme läuft unter dem Titel „Mehr Milei/Trump/Musk wagen“, worunter die einfache Abschaffung von einzelnen Sparten der öffentlichen Verwaltung zu verstehen ist. Tatsächlich kann eine Behörde, wenn sie nicht mehr existiert, auch keine Probleme des Verwaltungshandelns produzieren. Leider ist die Einsicht in die stupende Brillanz dieser Vorschläge nicht so weit verbreitet, dass schnell an ihre Umsetzung zu denken wäre. Das könnte auch daran liegen, dass es etwa für Privatflieger gar nicht so schlecht ist, wenn es eine von allen finanzierte staatliche Flugsicherung gibt; und für die nachmittägliche Ausfahrt des Lamborghini mit 250 km/h sollte eine gut geteerte Autobahn zur Verfügung stehen. Insofern ist der skizzierte Vorschlag bei aller sympathischen Grundsätzlichkeit doch mit gewissen Widersprüchlichkeiten behaftet.

3. Am effektivsten scheint daher die dritte Lösung zu sein: die radikale Begrenzung des Zugangs zu Verwaltungsleistungen. Wenn eine Behörde mit der Bearbeitung der Fälle in ihrem Verantwortungsbereich überlastet ist, kann man einfach dafür sorgen, dass der Zugang zu dieser Behörde erschwert oder gar verunmöglicht wird. Aktuell wird dieser Lösungsweg beim Flüchtlingsthema durchexerziert, das so zu einem Versuchslabor dafür wird, wie man sicherstellt, dass Menschen Behördenleistungen (hier: Bearbeitung von Anträgen) schon physisch nicht mehr in Anspruch nehmen können, weil ihnen einfach der Zugang verwehrt wird.

Dass dies aber nur ein erster Schritt sein kann, wird auch daraus deutlich, dass in den nächsten Jahren mehrere hunderttausend Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in Ruhestand gehen und die entsprechenden Stellen nicht mehr besetzt werden können. Dann bietet es sich – zur Vermeidung von Kontrollverlust – konsequenterweise an, Anträge z. B. auf eine Baugenehmigung, Korrektur von Bescheiden oder Anmeldung von Fahrzeugen dadurch zu verhindern, dass die Türen der jeweiligen Behörden geschlossen und verbarrikadiert bleiben. Lediglich die Flugsicherung für Privatflieger, die Autobahnmeistereien an Rennstrecken und die Polizei als Hüterin dieser Verhältnisse werden wohl noch weiter aufrechterhalten bleiben.

Ergänzung aus aktuellem Anlass: Was hier noch als Zukunftsmusik präsentiert wird, ist in den USA mittlerweile Realität.

« Ältere Beiträge

© 2025 Heulen Eulen?

Theme von Anders NorénHoch ↑