Unsentimentale Anmerkungen zur Weltlage

Autor: Redaktion (Seite 8 von 31)

Meinungsfreiheit

Immer wieder wird – insbesondere aus den Kreisen von „Querdenkern“ und ähnlichen Personen – die mangelnde Meinungsfreiheit hierzulande beklagt. Unzweifelhaft ist dies aus drei Perspektiven falsch.

1. Was gemeint sein könnte, aber sicher nicht zutrifft

Der erste Punkt ist der offensichtlichste und kann daher schnell abgehakt werden. Denn bereits der performative Charakter der Klage, d. h. die andauernde Betonung der mangelnden Meinungsfreiheit auf allen verfügbaren Kanälen, auf Demonstrationen und in Talkshows führt diese Klage ad absurdum.

2. Was nicht gemeint ist, aber wohl zutrifft

Der zweite Punkt ist demgegenüber weitaus interessanter. Dies fängt bereits mit dem im Wortsinne falschen Verständnis von Meinungsfreiheit an, die ja korrekt Meinungsäußerungsfreiheit heißen müsste. Denn – so die enger gefasste Bedeutung von Meinungsfreiheit – was jemand meint, ohne es zu äußern, könne ja nicht verhindert werden. Das ist auch z. B. der Inhalt des bekannten Volksliedes „Die Gedanken sind frei“, wenn es in der heute bekannten Variante in der ersten Strophe heißt: „Kein Mensch kann sie [die Gedanken] wissen, kein Jäger erschießen, es bleibet dabei: die Gedanken sind frei.“ Und in der zweiten Strophe wird dies noch vertieft: „Ich denke, was ich will, und was mich beglücket, doch alles in der Still, und wie es sich schicket.“

Aus dieser Perspektive sind also „Gedanken“, die hier als synonym mit „(nicht geäußerten) Meinungen“ angesehen werden sollen, grundsätzlich frei, da uneingeschränkt privat und nicht kontrollierbar.

Wenn man sich da mal nicht täuscht. Denn Meinungs- oder Gedankenfreiheit bedeutet ja, dass andere von deren Inhalt nichts wissen und erst recht nicht aufgrund dieses Wissens versuchen, die Gedanken zu manipulieren. Ein einfacher Blick auf die Werbung auf zahlreichen Webseiten zeigt, dass Unternehmen und andere Organisationen die privatesten Einstellungen, Gedanken und Meinungen des einzelnen kennen, ohne dass diese auch jemals geäußert wurden. Allein das Verhalten (hier: der Besuch von Webseiten und die Dauer und der Ablauf dieses Besuchs) reicht für weitreichende Kenntnisse der Denkweisen der einzelnen aus.

Insofern ist es ein Ausweis krassester Realitätsferne, den Inhalt des zitierten Liedes als für auch heute gegeben anzusehen. Unbefangen und sich unbeobachtet wähnend zu surfen, klappt nur, wenn bewusst alles ausgeblendet wird, was über digitales Ausforschen bekannt ist, es also nicht wissen zu wollen. Von Meinungsfreiheit kann demgegenüber berechtigterweise nur derjenige sprechen, der im (nicht-digitalen) Wald sitzt und unbemerkt vor sich hin sinniert.

Aber all das ist überhaupt nicht gemeint, wenn über einen Mangel an Meinungsfreiheit geklagt wird.

3. Was ganz sicher gemeint ist und auch zutrifft

Tatsächlich geht es um etwas ganz anderes: nämlich um Widerspruch bzw. den Umstand, dass unter fehlender Meinungsfreiheit verstanden wird, dass jemandem widersprochen wird. Oder noch schlimmer: dass jemand für den geäußerten Unsinn kritisiert oder gar ausgelacht wird.

Nur hat das wenig mit Meinungsfreiheit, sondern mehr mit narzisstischer Kränkung zu tun. Und das ist dann kein Thema mehr für diesen Blog.

Integration

Anlässlich der sog. Silvesterkrawalle entflammte wieder die alljährliche mediale Debatte über Integration, d. h. die Vermutung, dass die Beteiligten nicht integriert sind, sich nicht integrieren wollen oder überhaupt. Das soll hier zum Anlass genommen werden, sich mit dem Integrationsbegriff etwas genauer auseinanderzusetzen.

„Integration“ ist einer der Begriffe, die als solche unterbestimmt sind, d. h. wie andere Begriffe auch einer Ergänzung bedürfen, um sinnvoll zu sein. Die Ergänzung lautet hier: integriert in. Ohne eine solche nähere Bestimmung schrumpft der Fachbegriff der Integration auf ein angeberisches Synonym von „unerwünschtem Verhalten“ (wobei auch hier zu ergänzen wäre, von dem es unerwünscht ist).

Bei korrekter Begriffsverwendung können wir etwa bei einer 90-jährigen Rentnerin im Regelfall davon ausgehen, dass sie nicht in den Arbeitsmarkt integriert ist, was aber als unproblematisch angesehen wird, weil sie ins Rentensystem integriert ist und vielleicht auch noch über verwandtschaftliche und/oder freundschaftliche Beziehungen verfügt, also auch hier Integration vorliegt.

Personen können demnach in verschiedene Teilbereiche der Gesellschaft integriert oder aber nicht integriert sein. Eine vollständige Integration im Sinne einer Einbettung in alle erreichbaren gesellschaftlichen Sphären existiert üblicherweise nicht; eine Ausnahme dürfte das Gefängnis sein, in dem die Insassen in hohem Maße integriert sind – zumindest im Hinblick auf alle Bereiche, die ihnen überhaupt zur Verfügung stehen.

Zugleich ist Integration nicht mit positiv bewertetem Verhalten gleichzusetzen. So können alle Mitglieder der internationalen Päderasten-Szene als hochgradig in diese integriert angesehen werden, was nicht nur auf Angehörige des katholischen Klerus beschränkt ist, sondern grundsätzlich auf alle klandestinen Zusammenhänge gemünzt werden kann.

Insofern kann man auch der abstrusen Figur mit Nachnamen Lindner und Vornamen Finanzminister, wenn sie es auf Sylt krachen lässt und so den Personen geringeren Einkommens den Stinkefinger zeigt, nicht von vornherein die Integration absprechen. Zumindest in eine vorrangig parasitäre Parallelgesellschaft ist die Einbettung sicherlich gegeben.

Aus dieser Perspektive sind die Silvester-Auffälligen ebenfalls hochgradig integriert, sie bilden mit den empörungswilligen Medien, den entrüstungsaffinen Parteien und den rechtsradikalen Trollen ein überaus kooperatives Ensemble, das es ebenfalls gerne krachen lässt und den Rest der Bevölkerung für dumm hält. Den Vogel schießt hier der FAZ-Redakteur Altenbockum ab, wenn der die Teilnehmer an den Ereignissen als „integrationsunwillige Jugendliche“ fremder Kultur bezeichnet (J. v. Altenbockum: Die kleinen und die großen Paschas. In: www.faz.net/aktuell/politik/inland/merz-und-die-integrationsdebatte-kleine-und-grosse-paschas-18601013.html; abgerufen am 13.1.2013), ohne überhaupt wahrnehmen oder reflektieren zu wollen, dass diese Jugendlichen (auch außerhalb Berlins) ihre „Integrationsunwilligkeit“ nicht auf den Straßen Kabuls oder Algiers gelernt haben, sondern mitten in Deutschland. Und dass ihr Verhalten daher ein Nachweis gelebter Integration ist.

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