Unsentimentale Anmerkungen zur Weltlage

Autor: Redaktion (Seite 22 von 31)

Salat

Wir essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen Gemüse von früh bis spat.
Auch Früchte gehören zu unsrer Diät.
Was sonst noch wächst, wird alles verschmäht.

Mit diesen Zeilen beginnt das 1905 veröffentlichte Spottgedicht „Der Gesang der Vegetarier“ des 1878 geborenen anarchistischen Schriftstellers Erich Mühsam. Er kommentiert damit seine Erfahrungen in einer 1900 gegründeten Veganer-, später Vegetariergemeinschaft auf einem Hügel nahe des schweizerischen Ancona. Die „vegetabile Cooperative“ benannte den Hügel in „Monte Verità“ um und dokumentierte damit ihre Absicht, ein „wahrhaftiges“ Leben führen zu wollen; sie stellte sich damit explizit gegen die industrielle Gesellschaft und die darin existierende Lebensformen und war der wohl radikalste Ableger der im späten 19. Jahrhundert entstandenen Lebensreformbewegung. Auch Mühsam schloss sich für kurze Zeit der Gemeinschaft an.

Das eskapistische Leben auf dem Monte Verità war für eine politisch wache Persönlichkeit wie Mühsam jedoch nur kurze Zeit erträglich; daher verließ er die „Cooperative“ schnell wieder und arbeitete als Schriftsteller und Herausgeber in München, wo er eine wichtige Rolle bei der Gründung der Münchener Räterepublik 1919 einnahm. Nach deren Zerschlagung durch die SPD-geführte Reichswehr und rechtsradikale Freikorps und anschließender fünfjähriger Festungshaft ging er nach Berlin, wo er schriftstellerisch und politisch weiter aktiv war. Im Jahre 1934 wurde er im KZ Oranienburg ermordet.

Wir hassen das Fleisch, ja wir hassen das Fleisch
und die Milch und die Eier und lieben keusch.
Die Leichenfresser sind dumm und roh,
Das Schweinevieh – das ist ebenso.

Mittlerweile ist der Monte Verità in der Ebene angekommen, d. h. die Ansicht, Veganer- oder Vegetariertum hätte etwas mit einem „wahrhaftigen“ Leben zu tun, hat sich in den letzten Jahren immer weiter verbreitet und zumindest in bildungsbürgerlichen Kreisen den Mainstream erreicht. Dass es sich dabei nicht in erster Linie um eine ganz und gar individuelle Haltung – im Sinne von: Ich mag halt kein Fleisch (es soll ja auch Menschen geben, die Brokkoli oder Kürbis nicht mögen) – handelt, zeigt der fast euphorische Bericht über einen veganen Brunch in einer Münchener Gaststätte in der Süddeutschen Zeitung vom 29.1.2019; die Autorin hebt nicht nur das üppige Büffet hervor, sondern zitiert auch dessen Leitmotiv, das auf einer Tafel zu lesen ist: „Be the change that you want to see in the world“.

(Quelle: www.sueddeutsche.de/muenchen/brunch-vegan-westend-bodhi-fruehstueck-1.4278036)

Dieser Satz kann wohl als Variante des bekannten Kant‘schen Kategorischen Imperativs interpretiert werden, der als ethische Richtschnur für eigenes Handeln das Prinzip benennt, dass dieses dann auch als Richtschnur für das Handeln aller anderen gelten können müsse. Man unterstellt den Restaurantbetreibern wie der Autorin sicherlich nicht zu Unrecht, dass der geforderte „Change“ sich nicht darauf bezieht, dass für alle Menschen üppige Büffets zum Alltag gehören sollten, sondern dass von veganer Ernährung auf globaler Ebene die Rede ist. Aus dieser Sicht müsste die folgende Abbildung auf großen Beifall stoßen.

(Quelle: www.presseportal.de/pm/50116/3606919)

Das haben die Leute jetzt davon – hätten sie nur die Rohstoffe für das Münchener Büffet angebaut! In den Elendsregionen dieser Welt kann der vegane Anspruch auf Weltverbesserung nur als Zynismus verstanden werden. Vielleicht ist das zumindest dumpfe Ahnen eines solchen Zusammenhangs auch der Grund dafür, dass in Veganer-Kreisen die Ernährungsprobleme der sog. Dritten Welt und die Frage, inwieweit dies mit der Vorliebe von Menschen in den reichen Ländern etwa für Avocados oder Sojaprodukte zusammenhängt, auf eher geringes Interesse stößt. Oder wie es Mühsam ausdrückte:

Wir essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen Gemüse von früh bis spat.
Und schimpft ihr den Vegetarier einen Tropf,
So schmeissen wir euch eine Walnuss an den Kopf.

 

Agatha und die Zwillinge

Von Karl Valentin stammt der Spruch: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Diese Erkenntnis hat die Menschen nie davon abgehalten, die Zukunft vorhersehen zu wollen. Wahrsagen war immer schon ein gutes Geschäft; vor allem in Krisenzeiten will man wissen, was passieren wird. Und wer hat nicht schon manchmal vor sich hin gestöhnt: „Wenn ich das vorher gewusst hätte …“

Zwei aktuelle Bespiele zeigen die Wirkmächtigkeit eines solchen Denkens. So titelte die Bildzeitung am 8.6.2018 anlässlich eines Mordfalls: „Wenn er abgeschoben worden wäre … würde sie noch leben.“ Und das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz erweitert das Spektrum polizeilicher Eingriffsmöglichkeiten über die bisherige „konkrete Gefahr“ hinaus um die „drohende Gefahr“. In beiden Fällen geht es darum, durch eine Art höhere Form des Wahrsagens festzustellen, ob jemand in der Zukunft ein Verbrechen begehen wird, um dieses dann zu verhindern.

Die Grundidee und die Konsequenzen eines solchen Zugangs zur Bekämpfung von Kriminalität wird idealtypisch in Steven Spielbergs Spielfilm „Minority Report“ (2002) dargestellt. In diesem Film und in der ihm zugrundeliegenden Kurzgeschichte von Philip K. Dick geht es um das (fiktive) „Precrime“-Programm der Stadt Washington, in dem die drei Überlebenden eines gentechnischen Experiments – Agatha und die Zwillinge Arthur und Dashiell – Visionen zukünftig sich ereignender Morde haben, woraufhin die Polizei die – potentiellen – Täter kurz vor der Tat festnimmt und in Dauergewahrsam überführt. Das auf die Zukunft bezogene Wissen der drei in einer Nährlösung schwimmenden „Precogs“ führt dazu, dass in den sechs Jahren seit Beginn des Precrime-Programms in Washington scheinbar keine Morde mehr passieren. Es ist sicher nicht übertrieben anzunehmen, dass diese Modell von Verbrechensvorbeugung genau das ist, wovon bayerische Landesregierung und Bildzeitung träumen.

Nun ist nicht bekannt, über welche Mutanten die CSU oder die Bildzeitung verfügen – sicherlich gibt es dort zahlreiche, aber offensichtlich verfügen sie nicht über die Fähigkeit der Precogs; denn im Film findet das Eingreifen immer nur wenige Minuten vor der Tat statt, die „drohende Gefahr“ ist hingegen auf eine eher unkonkrete Zukunft gerichtet. Der Film zeigt darüber hinaus, dass auch im Falle einer tatsächlichen „Pre-Cognition“ ein solches Programm über ein entscheidendes und sehr problematisches Merkmal verfügt: dass es als Instrument der Herrschenden verwendet werden kann, eigene Verbrechen zu vertuschen.

Wenn man die Quintessenz des Films zusammenfassen will, kann sie etwa so lauten: „Wer die Zukunft definiert, beherrscht die Gegenwart.“ Und wer effektiv Ängste zu wecken vermag und zugleich die Lösung der Probleme verspricht, kann mit großer Zustimmung rechnen. Selbstverständlich gibt es zahlreiche Themen, bei denen über eine Vorhersage der Zukunft Einfluss auf die Gegenwart genommen werden soll. Wenn es etwa um den Klimawandel oder die Sicherheit des deutschen Sozialversicherungssystems (vulgo: Renten) geht, ist offensichtlich, dass es hier auch um Probleme in der Zukunft und das Handeln in der Gegenwart geht; die Reaktion hierauf reicht jedoch bei der aktuellen Politik von Leugnung bis Ignorieren. Während hier aber von Daten und der von jedem nachvollziehbaren Interpretation die Rede ist, also um öffentlich kontrollierte und letztlich demokratisch legitimierte Problemlösungen geht, handelt es sich bei der Verbrechensbekämpfung um das Wirken von Precogs, von Personen, die keine Öffentlichkeit mehr kontrolliert, sondern ihre Wahrsageleistungen direkt aus den unerwünschten Taten ableitet, also Element von Herrschaftstechniken ist.

Im Film wird das Precrime-Programm aufgrund dieses Merkmals beendet – ein Resultat, das nicht zuletzt aus dem Demokratieverständnis des Autors bzw. Regisseurs resultiert. Es ist unbestreitbar, dass dieses nicht mit den Positionen der Precogs von CSU und Bildzeitung übereinstimmt.

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