Unsentimentale Anmerkungen zur Weltlage

Autor: Redaktion (Seite 20 von 31)

Leitdifferenz Nation

Wenn man sich mit Nation und Nationalismus beschäftigt, ist es sinnvoll, sich zunächst bewusst zu werden, dass Nation ein Differenzbegriff ist, d. h. den Unterschied zwischen Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit markiert. Das hat sie mit vielen anderen Begriffen gemeinsam. Interessant ist daher die Frage, wann und warum sie eine Leitdifferenz markiert.

Unter „Leitdifferenz“ ist dasjenige Kriterium zu verstehen, das in einer bestimmten Situation die wichtigste Unterscheidung vorgibt. So ist bei einem Fußballspiel etwa zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund für die Fans die Leitdifferenz, ob jemand Anhänger der einen oder der anderen Mannschaft ist. Ob ein Fan hingegen alt oder jung, männlich oder weiblich oder arm oder reich ist, spielt in dieser Situation keine Rolle. Bei der Partnerwahl hingegen ist die Leitdifferenz das Geschlecht des anderen, dessen Eigentumsverhältnisse, Interessen usw. sind sekundäre Qualitäten. Ein Blick auf Partnervermittlungsportale kann das problemlos bestätigen. Ein letztes Beispiel ist ein Arzt, bei dem nur eine Frage zählt: ob er (oder sie) eine entsprechende Ausbildung hat.

Die geschilderten Fälle betreffen Situationen, in denen die Leitdifferenz problemlos aus der jeweiligen Sachlage abgeleitet werden kann. Wenn aber genau dieser Zusammenhang zwischen Leitdifferenz und situationsgebundener Sachlage fehlt, wird es interessant, d. h. es stellt sich die Frage, wie dieses Problem gelöst werden kann. Um beim Beispiel der ärztlichen Versorgung zu bleiben, kann man sich den Fall eines weißen Rassisten vorstellen, der – schwer verletzt – vor der Alternative steht, einen dunkelhäutigen Arzt oder einen hellhäutigen LKW-Fahrer um Hilfe zu bitten. Wählt er die sachlich inadäquate Leitdifferenz, d. h. die Hautfarbe, als Entscheidungskriterium, könnte dies zum Ende aller weiteren Entscheidungsprobleme führen.

Ob eine Leitdifferenz in einer bestimmten Situation sachbezogen ist, ist jedoch keine überzeitliche Festlegung, sondern kann in verschiedenen Gesellschaften ganz unterschiedlich geregelt sein. Dies kann wieder am Beispiel des Arztes erläutert werden. So gab und gibt es Gesellschaften, in denen es weiblichen Ärzte nicht erlaubt ist, Männer zu behandeln, aber auch solche, in denen männliche Ärzte keine Frauen behandeln dürfen. In beiden Fällen ist es keine individuelle Entscheidung, ob im Bereich „Heilung“ die Leitdifferenz „Kompetenz“ lautet oder aber „Geschlecht“. Wenn in einer solchen Gesellschaft gefordert wird, doch der Kompetenz den Vorrang zu geben vor dem Geschlecht, bedeutet das, auf einem wichtigen sozialen Feld die Leitdifferenz zu wechseln.

Entsprechend dieser Überlegungen kann Nationalismus als ein Programm verstanden werden, das das Nationale in immer mehr Situationen zur Leitdifferenz machen will. Zwei Aspekte sind hier von Bedeutung: zum einen die Frage, welche Situationen als für das Nationale bedeutsam angesehen werden, und zum anderen die Frage nach der konkreten Form, die das Nationale dann annimmt.

Ein zumindest heute amüsantes Beispiel für die Antworten auf diese Fragen und damit die Setzung einer Leitdifferenz ist die Hochzeitsnacht des Diederich Heßling, wie sie von Heinrich Mann in seinem 1914 vollendeten Roman „Der Untertan“ geschildert wird:

Sein von Glück beschwingter Tatendrang litt keinen Aufschub, Guste hätte so viel Temperament nie erwartet. „Du bist doch nicht wie Lohengrin“, bemerkte sie. Als sie aber schon hinglitt und die Augen schloß, richtete Diederich sich nochmals auf. Eisern stand er vor ihr, ordenbehangen, eisern und blitzend. „Bevor wir zur Sache selbst schreiten,“ sagte er abgehackt, „gedenken wir Seiner Majestät unseres allergnädigsten Kaisers. Denn die Sache hat den höheren Zweck, daß wir Seiner Majestät Ehre machen und tüchtige Soldaten liefern.“

Wenn man in diesem Zitat den „Kaiser“ durch die „Nation“ ersetzt, hat man die heute wieder moderne Setzung der Leitdifferenz „Nation“ und deren Anwendung in einer dafür üblicherweise nicht geeigneten Situation. Die konkrete Form, die das Nationale hier annimmt, ist scheinbar überzeichnet; wohl die meisten Deutschen verzichten in einer solchen Situation auf das Tragen von Orden. Aber schon bei der Verwendung von Bettwäsche in den Nationalfarben dürfte die Ablehnung nicht mehr so einhellig sein. Daher sollen im folgenden drei Fragen beantwortet werden: Was sind unstrittige Situationen, in denen die Leitdifferenz „Nation“ auftritt? Für welche Situationen ist „Nation“ strittig, fordern nationalistische Bestrebungen die stärkere oder gar alleinige Nutzung der Leitdifferenz „Nation“? Und wie können diese Tendenzen auf gesellschaftliche Entwicklungen zurückgeführt werden?

Exkurs:

An dieser Stelle scheint eine kleine Anmerkung angebracht. Man könnte sich fragen, weshalb hier von Leitdifferenz gesprochen wird, gibt es doch mit der – z. B. nationalen – „Identität“ eine wesentlich bekanntere und vielfach verwendete Vokabel. Nun, die Vermeidung des „Identitäts“-Begriffs liegt darin begründet, dass er v. a. aufgrund seiner Herkunft aus der Entwicklungspsychologie suggeriert, eine Äußerung von nationaler Identität (vulgo: Nationalismus) sei Ausdruck einer inneren, psychischen Verfasstheit, ja noch mehr: dass alle ähnlichen Äußerungen ihre Entsprechung in ähnlichen psychischen Vorgängen hätten. Dies mag manchmal so sein, übersieht aber auch ganz andere Faktoren nationalistischer Äußerungen: Provokation, Karriereplanung, Anpassung usw. usf. Ein Verständnis von Nationalismus als Inhalt von Äußerungen mit Hilfe des „Leitdifferenz“-Begriffs an Stelle von „Identität“ ist daher dem Thema eher angemessen.

Am einfachsten ist die Antwort auf die erste Frage, wann „Nation“ unstrittig ist, wenn man sie wie im Englischen versteht: als Staat (vgl. a. UNO = Vereinte Nationen) und daraus abgeleitet Nationszugehörigkeit als Staatsangehörigkeit. „Nation“ ist dann der Sammelbegriff für die Bürger eines Staates, sie zeigt an, wer etwa in einem demokratischen Staat bei Wahlen über die Ausrichtung der Politik bestimmt. Wer in diesem Sinne zur „Nation“ gehört, ist z. B. von ausländerrechtlichen Einschränkungen befreit, kann aber auch zum Militär eingezogen werden. All diese Aspekte von Nation sind unproblematisch, da sie die Leitdifferenz direkt markieren und sie insofern lediglich verdoppeln.

Ganz anders sieht es dann aus, wenn mit „Nation“ neben der Staatsangehörigkeit die Hautfarbe, kulturelle Merkmale und identifikatorische Inszenierungen verbunden werden. Dann kann zwischen echten und unechten Nationsangehörigen unterschieden werden, ist dieses „deutsch“ und jenes „undeutsch“ – jeweils verbunden mit der Demonstration von Zugehörigkeit, etwa dem Schwenken von Fahnen, dem lautstarken Bekenntnis, stolz auf das „Deutsch-Sein“ zu sein, oder eben der Begründung für die sexuelle Annäherung.

Die Differenzierung bezieht sich manchmal mehr noch als auf den Gegensatz zum Ausländer auf den Gegensatz zum undeutschen Deutschen, zum dermatologisch oder kulturell Anders- und Fremdartigen deutscher Staatsbürgerschaft. Die Leitdifferenz hat dann zwei Elemente: zum einen behauptet sie die Gleichheit aller „echten“ Nationsangehörigen, zum anderen formuliert sie eine Hierarchie; je „nationaler“, also z. B. kulturell eindeutig als zugehörig definierbarer jemand ist, eine desto höhere soziale Position steht ihm zu. Nur für „echte“ Nationsangehörige sind dann soziale Privilegien vorgesehen, alle anderen haben mit Zurückstufungen, Sanktionen und im Extremfall – etwa bei der Ausweisung von Flüchtlingen in Kriegsgebiete – mit der Tötung zu rechnen. Die Antwort auf die zweite Frage lautet also, dass es prinzipiell keine Situationen gibt, für die Nation nicht als Leitdifferenz eingefordert werden kann. Nationale Zugehörigkeit als Voraussetzung für einen Arbeitsplatz gehört ebenso dazu wie die Propagierung „nationaler“ Kunst und damit die Förderung entsprechender Künstler usw.

Diese Privilegien stehen seit Jahren von zwei Seiten unter Druck. Zum einen ist dies die neoliberale Ideologie, wie von Margaret Thatcher mit dem Ausspruch „Es gibt keine Gesellschaft. Es gibt nur Individuen und Familien“ idealtypisch formuliert wurde. Nach diesen Vorstellungen stehen alle Individuen – abgesehen von ihren Verwandten – allein in der Welt und in permanenter Konkurrenz miteinander. Größere soziale Zusammenhänge werden abgelehnt, die Zerschlagung etwa von gewerkschaftlicher Macht ist die eine Konsequenz, der ungebremste Machtzuwachs von Unternehmen die andere.

Zum anderen wird die Nation als Leitdifferenz von neuen kulturellen Leitdifferenzen bedroht. Dazu gehören die Leitdifferenzen Geschlecht, sexuelle Orientierung, Religion, Verzehrgewohnheiten usw. und die fast unübersehbare Zahl von Mobilisierungen sich irgendwie beleidigt fühlender Menschen.

Beide Entwicklungen getrennt hätten wahrscheinlich kaum zur Revitalisierung der Leitdifferenz Nation geführt. Erst ihre Koalition – die Kommerzialisierung sexueller etc. Merkmale einerseits und das radikale Marketing individueller Interessen andererseits – hat der Nation wieder zur Renaissance verholfen, als Form einer autoritären Rekollektivierung gesellschaftlicher Verhältnisse und Wiederherstellung traditioneller sozialer Hierarchien. Insofern ist die Leitdifferenz Nation auf dem – bei weitem noch nicht vollendeten – Rück-Weg zur gesellschaftlichen Norm, was unterschiedliche Perspektiven aufweist, die aber alle kaum als positiv zu bewerten sind. Aber wenn die einzigen Alternativen Nationalismus oder neoliberales Befindlichkeitsmanagement lauten, sind die Aussichten insgesamt eher düster.

Allmende

Ich möchte mich heute mit ein paar aktuellen Problemen beschäftigen und mich dabei eines mittelalterlichen Konzepts der Ressourcenverwendung bzw. dessen Bezeichnung bedienen. Die „Allmende“ ist eine Sonderform der sog. freien Güter. Unter freien Gütern verstehen die Wirtschaftswissenschaften Ressourcen, die kostenlos für alle verfügbar sind. In älteren Lehrbüchern werden darunter etwa Luft, Wasser oder Wind gezählt. Jeder darf kostenlos atmen, auf dem Meer herumfahren oder sich vom Wind durchpusten lassen. Unter „Allmende“ ist demgegenüber ein freies Gut für eine begrenzte Personenzahl zu verstehen. Historisch bezieht sich dieser Begriff auf kommunale Flächen, die für alle Gemeindemitglieder – aber nur für diese! – kostenlos zur Verfügung stehen. Beispiele hierfür sind etwa die Gemeindewiese oder ‑weide und der Gemeindewald, wo alle Dorfbewohner ihre Tiere weiden bzw. sich mit Holz versorgen können.

Kommt es zu einer Übernutzung der Allmende, beginnt ein Wettlauf; jeder möchte die Allmende möglichst intensiv nutzen, damit andere Berechtigte sie nicht schon bis zur Erschöpfung genutzt haben, bevor man selbst auf sie zugreift. Das Resultat ist die Zerstörung der Allmende. Es gibt nun zwei prinzipielle Wege zur Lösung dieses Problems: Entweder wird die Allmende von einem freien Gut zu einem Wirtschaftsgut (so der wirtschaftswissenschaftliche Begriff) – ein Weg, der z. B. in Deutschland überwiegend eingeschlagen wurde, indem Gemeindeflächen privatisiert oder als Gemeindeeigentum an den meistbietenden Nutzer verpachtet wurden; oder es bleibt bei der Allmende, die aber nun einem rigorosen Bewirtschaftungsreglement unterworfen wird – indem etwa festgelegt wird, wie stark jemand sie nutzen darf. Sie ist damit weiter ein freies Gut, da ihre Nutzung kostenfrei ist, zugleich ist sie aber kein freies Gut mehr, weil sie nicht beliebig genutzt werden darf.

Inwieweit kann das Konzept der Allmende helfen, heutige Probleme besser zu verstehen und vielleicht sogar einer Lösung zuzuführen? Ich möchte im folgenden ein paar Punkte aufführen, die zeigen, wie sehr aktuelle Auseinandersetzungen um Ressourcennutzung von der Differenz zwischen freien Gütern, Wirtschaftsgütern und (regulierter) Allmende bestimmt werden.

Ein einfaches Beispiel ist das Parken in einer Stadt. Entweder kann jeder parken, wo es einen freien Parkplatz gibt (freies Gut), oder das Parken ist kostenpflichtig (z. B. Parkhäuser privater Betreiber, Parkgebühren auf öffentlichen Stellflächen; =Parkflächen als Wirtschaftsgut). In vielen Städten gibt es einen Mix aus beidem, was an der prinzipiellen Zuordnung zu den beiden Kategorien nichts ändert. Wo aber ist die Allmende? Sie verbirgt sich hinter der Nutzungsform des Anwohnerparkens. Nur für die Bewohner etwa eines Stadtviertels ist das Parken erlaubt und/oder kostenlos. Um eine Übernutzung des Parkraums zu verhindern, gibt es für die Anwohner nur eine beschränkte Anzahl von Parkerlaubnissen; und die Monetarisierung der Nutzung (d. h. die Überführung in einer Wirtschaftsgut) wird dadurch unterbunden, dass die Parkerlaubnis an das Fahrzeug eines Berechtigten gebunden ist, dieser die Erlaubnis also nicht verkaufen kann.

Komplizierter wird es, wenn auf derselben Fläche unterschiedliche Nutzungen konkurrieren. Das ist etwa dann der Fall, wenn das freie Gut Luft in einer Stadt von Autofahrern als Müllkippe für Abgase verwendet wird, von den Anwohnern hingegen als Atemluft. Die Übernutzung der Luft durch Autofahrer äußert sich aktuell in der Frage der Belastung mit Stickoxiden, die von den Autofahrern an das freie Gut Luft abgegeben werden, was bei den Anwohnern die eigene Nutzung der Luft mit z. T. hohen Kosten etwa in Form von gesundheitlichen Problemen verbindet. In dieser Situation treten Konflikte um die Frage auf, ob Luft in den betroffenen Gebieten noch ein freies Gut sein kann. Als Alternative bietet sich einerseits die Umwandlung der Luft in ein Wirtschaftsgut an, indem Autofahrer für die Fahrt in eine Stadt eine besondere Gebühr zahlen müssen. Andererseits kann es auch zu einer Regulierung der Luftnutzung kommen (Fahrverbote u. ä.).

Ganz ähnlich sieht es bei der touristischen Übernutzung von Städten aus. Der freie Zugang zu einer Stadt wird dann zugunsten einer Kontingentierung oder Kommerzialisierung (z. B. über Eintrittsgebühren) aufgehoben.

Am deutlichsten wird die Frage, um welche Art von Gut es sich handelt, bei den klassischen freien Gütern wie Luft oder Meer(wasser). Während das Problem der Überfischung durch Monetarisierung (z. B. Lizenzierung) und/oder Allmendeformen (z. B. begrenzter Zugang, Fangquoten) zumindest in den Hoheitsgewässern und Wirtschaftszonen der Anrainerstaaten relativ einfach in den Griff zu bekommen ist, scheint die bisher kostenlose Nutzung des Meeres als Müllkippe z. B. für Plastikabfälle sich herkömmlichen Problemlösungen zu verweigern. Da die Privatisierung des Meeres kaum möglich sein dürfte und auch andere Formen der Kommerzialisierung seiner Müllkippenfunktion (etwa zusätzliche Abgaben auf Plastikmüll, deren Erträge für die Reinigung des Meeres verwendet werden) wenig erfolgversprechend sind, ist wohl die Allmendenutzung mit strengen Regulierungen die einzig gangbare Lösung. Wie dies jedoch kontrolliert werden soll und nach welchen Kriterien z. B. einzelnen Ländern ihr jeweiliges Ausmaß an Nutzungsrechten gewährt werden soll, ist völlig ungeklärt.

Wie beim Meer geht auch die Rolle der Luft als freies Gut zu Ende. In ihrer Funktion als Müllkippe für Abgase wie CO2 ist die Übernutzung offensichtlich, der Klimawandel als eine Folge nur zu gut belegt. Wie in allen vergleichbaren Fällen wollen die größten Nutzer dieser Müllkippe nicht, dass sie ihren Status als freies Gut verliert (sog. Klimaskeptiker), ziehen sie doch den größten Vorteil daraus, die Luft kostenlos zur Verfügung zu haben. Die Gegenbewegung besteht – wie in allen bisher beschriebenen Fällen – aus zwei grundsätzlichen Richtungen: aus denjenigen, die das Problem kommerzialisieren und damit in den Griff bekommen wollen (z. B. durch CO2-Zertifikate für luftverschmutzende Unternehmen), und denjenigen, die die Nutzung stark regulieren wollen (z. B. durch Klimaabkommen). Beiden Bestrebungen ist bisher kein durchschlagender Erfolg beschieden, aber auch hier scheint die strikte Regulierung der bessere Weg zu sein, nicht zuletzt da Zertifikate leicht für Betrugskartelle verwendet werden können. Bei der Regulierung bleibt lediglich das kleine Problem zu lösen, dass große Wirtschafts- und Militärmächte stark genug sind, sie einfach zu unterlaufen.

Ein letztes Thema ist ebenfalls globaler Natur. Es betrifft ein Gut, um das sich private und staatliche Eigentümer streiten: die Daten der Menschen in einzelnen Ländern, tendenziell auf der gesamten Erde. Zur Zeit scheinen die privaten Eigentümer in dieser Auseinandersetzung (noch) die Nase vorn zu haben. Die bloße Menge der verfügbaren Daten und immer ausgefeiltere Techniken, diese zu verbinden, versetzen Facebook, Google & Co. in die Lage, Informationen über Menschen zu generieren und diese dann in ihrem (Profit‑)Interesse zu manipulieren. Das Argument des Datenschutzes geht insofern an der Realität vorbei, als ein Unternehmen wie Facebook überhaupt kein Interesse daran hat, dass etwa Hacker Daten abgreifen; vielmehr soll das Monopol an diesen Daten gerade aufrechterhalten werden.

Während die Privatunternehmen zumindest teilweise darauf angewiesen sind, dass die einzelnen Menschen ihnen ihre Daten kostenlos übereignen, können Staaten die Daten ihrer Bürger per institutionalisiertem Zwang erfassen. Angesichts der immer weiter fortschreitenden Verfügbarkeit persönlicher Daten in den Händen privater und/oder staatlicher Akteure kann es als illusorisch bezeichnet werden, diese Enteignung rückgängig zu machen und sie in das alleinige Verfügungsrecht der Individuen zurückzuführen. Sie völlig frei zu geben, d. h. zur Nutzung jedes Interessenten zur Verfügung zu stellen, ist demgegenüber zwar möglich, aber ebenso illusorisch, da die aktuellen Besitzer der Daten (Privatunternehmen, Staaten) keinerlei Interesse daran haben, ihr Eigentum zu entwerten. Damit bleibt als einige Möglichkeit, die bestehenden Datenmonopole zu beseitigen, die Einführung einer Art Allmende.

In diese Richtung geht auch ein Vorschlag der (damaligen) SPD-Vorsitzenden Nahles (www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Sonstiges/Daten_fuer_Alle.pdf), große Digitalkonzerne zu zwingen, ihre Daten als „Gemeingut“ zur Verfügung zu stellen. Wer die Verwaltung der Daten übernimmt (z. B. eine Stiftung) und wer Zugang erhält – wodurch das Gemeingut zur Allmende wird –, lässt der Vorschlag offen. Auch staatliche Daten sollen danach öffentlich gemacht werden; wiederum bleibt jedoch unklar, welche Daten wem zur Verfügung gestellt werden sollen. Diese und viele weitere offene Punkte des Vorschlags haben zu deutlicher Kritik geführt. Dennoch dürfte allein aus demokratietheoretischer Sicht kein Weg an der Verwandlung des privaten bzw. staatlichen Eigentums an den Daten der Bevölkerung in eine Allmende-Nutzung vorbeigehen – zumindest wenn die einzelnen Menschen mehr sein sollen als Datenlieferanten, Produzenten kostenloser Waren und Untertanen.

« Ältere Beiträge Neuere Beiträge »

© 2025 Heulen Eulen?

Theme von Anders NorénHoch ↑