Unsentimentale Anmerkungen zur Weltlage

Autor: Redaktion (Seite 18 von 31)

Diskriminierung

Es war einmal – so beginnen zwar viele Märchen, aber auch manche Rückblicke auf lang Vergangenes – eine Zeit, in der Menschen sich gegen Unterdrückung und Ausbeutung wandten. Man bezeichnete sie als „Linke“. Aus mehreren Gründen, auch, aber nicht nur, weil die Methoden oder konkreten Umsetzungsziele der Linken unpopulär wurden, sind sie heute verschwunden. Eher traurige Überreste sammeln sich im sog. Schwarzen Block, mehr eine militante Karnevalsveranstaltung als ein zukunftsorientierter Gegenentwurf zu den aktuellen Gegebenheiten. Was bleibt?

Die meisten Menschen führen ihre alltäglichen Kämpfe nicht gegen Ausbeutung und Unterdrückung, sondern um zu überleben oder – zumeist in den reicheren Länder – eine halbwegs sorgenfreie Existenz zu führen. Von diesem Befund weichen zwei überaus unappetitliche Sorten Mensch ab. Die eine Gruppe ist diejenige, die sich an der Demütigung der Unterprivilegierten erfreut und als Konsumenten etwa von Dokusoaps die Ausbeutung privatester Aspekte von menschlichem Leben (Hoffnungen, Sexualität u. a.) unterstützt und dabei von den Produzenten solcher Sendungen verlacht und verachtet wird. Und der besser situierte Mittelschichtsangehörige kann sich darüber erheben und Opfer wie Genießer solcher Formate als Unterschichtsfernsehen diffamieren. Er hat also auch etwas davon.

Eine besonders unangenehme Spezies ist aber wohl der Diskriminierungsgegner, insbesondere wenn er auch noch Identitätsziele betreibt. Zumeist wenig infiziert von politischem Bewusstsein, aber immer bereit, mit moralischer Verve die jeweils aktuelle Ungleichverteilung statistischer Kategorien auf gesellschaftliche Statusgruppen zu beklagen, ist er der ideale Begleiter und Immunisierer gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse. Dann beklagt er den zu geringen Anteil von Frauen in Führungspositionen, aber schweigt, wenn der oder die CEO die für die Profitmaximierung nicht mehr Tauglichen aus dem Unternehmen wirft; dann wird es zu einem Problem, dass überproportional viele Schwarze von Polizisten erschossen werden, aber mit keinem Wort, dass die Tötung von Menschen durch die Polizei fast grundsätzlich straffrei bleibt; dann wird von einer Enteignung indigener Kulturen durch die Übernahme entsprechender Stoffmuster durch die internationale Textilindustrie fabuliert, aber der Produktion von T-Shirts in süd(ost)asiatischen Sweatshops keinerlei Beachtung geschenkt. Ja, die Ausbeutung und Unterdrückung von Menschen ist völlig in Ordnung, solange sie sich nur gleichförmig auf alle statistischen Gruppen, die nach Geschlecht, Hautfarbe, Alter, Herkunft usw. usf. gebildet werden können, verteilen.

In den oberen Etagen könnte dies mit einem permanenten Knallenlassen der Sektkorken beantwortet werden. Da dies aber wohl zu auffällig wäre, gibt es einen gut orchestrierten Widerstand gegen allzu schnelle Umsetzungsformen der Gleichverteilungs- und Antidiskriminierungsbestrebungen, denn so kann weiterhin gut verschleiert werden, dass die tatsächliche Abschaffung von Unterdrückung und Ausbeutung nicht dadurch erreicht werden kann, dass alle statistischen Gruppen dies in gleichem Maße erleiden.

Der Philosoph Robert Pfaller fasst es wie folgt zusammen: „Statt Kinderbetreuungseinrichtungen bekamen wir das Binnen-I, statt Chancengleichheit bot man uns »diversity«, und anstelle von progressiver Unternehmensbesteuerung erhielten wir erweiterte Antidiskriminierungsrichtlinien. Das entspricht dem Grundprinzip neoliberaler Propaganda: Alle Ungleichheit beruht demnach lediglich auf Diskriminierung. Sie ist nur ein Vorurteil, das sich durch liberale Gesinnung überwinden lässt; und nicht etwa ein Effekt starrer oder sich gar noch verhärtender Eigentumsverhältnisse.“ (taz.de/!169159)

Oder wie es der Soziologe Harald Welzer formuliert: „Merkwürdigerweise gilt diese Verschiebung vom sozialen auf das symbolische Unrecht sogar als „links“ oder „progressiv“, obwohl sprach- und einstellungspolizeiliche Ermittlungen doch genauso dem totalitären Formenkreis angehören wie die Figur des eifrigen Sammlers von Verfehlungen anderer, also des Denunzianten. Welcher gesellschaftliche Fortschritt sollte aus solcher selbstgemachter Repression in einer freien Gesellschaft entstehen? Das zivilisatorische Projekt der Moderne zentriert sich doch um die Herstellung von Verhältnissen, in denen man Menschen keine materielle Not leiden lässt und in denen man, mit Adorno gesprochen, ohne Angst verschieden sein kann. Dabei liegt die Betonung auf der Verschiedenheit und eben nicht auf einer symbolisch behaupteten Unterschiedslosigkeit. Aufklärung und Emanzipation bestehen ja gerade darin, dass Differenz anerkannt wird, aber politisch und rechtlich unerheblich ist. Gegenaufklärung ist, wenn jede Differenz symbolisch nivelliert wird, politisch aber kein Interesse an der Beseitigung von Ungleichheit besteht.“ (www.deutschlandfunkkultur.de/identitaetspolitik-eine-anti-aufklaererische-mode.1005.de.html?dram:article_id=455321)

Worum geht es also bei den Antidiskriminierungskampagnen? Im besten Fall um wohlfeile symbolische Aktivitäten, die die tatsächlichen Machtverhältnisse in keiner Weise tangieren, aber den Aktivisten ein wohliges Gefühl verschaffen; im schlechtesten Fall um eine Immunisierungsstrategie, die einzelne gesellschaftliche Gruppen gegeneinander hetzt, um alles beim Alten zu lassen.

Logik

Nein, hier geht es nicht um abstrakte Formen der Logik, sondern um deren Rolle im Alltag. Beginnen wir mit einem Satz, der seinem Urheber viel Häme eingebracht hat, vielleicht weil man sich immer gern über intellektuell nicht überragende Fußballer lustig machen will. Im konkreten Fall geht es um den damaligen Profi Jürgen Wegmann, der nach einem Spiel sagte: „Erst hatten wir kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu.“ Hierüber wurde viel gelacht, denn hier würden ja zwei identische Aussagen nur in unterschiedlicher Formulierung nebeneinander gestellt und so ein Nonsens-Satz konstruiert, der besonders tiefsinnig habe klingen wollen.

So kann man das sehen. Zumindest dann, wenn man Anhänger einer zweiwertigen Logik ist. Das bedeutet, dass es nur ein Ja oder ein Nein gibt, Glück oder Pech. Den Satz kann man aber auch ganz anders verstehen, nämlich im Sinn einer dreiwertigen Logik. Dann gibt es eine unbestimmte Situation, die weder mit Glück noch mit Pech gleichgesetzt werden kann, und davon kann das Geschehen dann in Richtung Glück oder Pech abweichen. Wenn man sich das Alltagsdenken und ‑sprechen ansieht, kann man es sogar als dessen grundsätzliche Eigenheit ansehen, dass immer eine dreiwertige Logik vorliegt. Denn bei jeder Entscheidungsfrage gibt es eine dritte Möglichkeit, die da lauten kann: „dazu sage ich nichts“, „das ist mir egal“ oder „belästige mich nicht mit dieser Frage“. Auch wissenschaftliche Befragungen enthalten immer die Antwortmöglichkeit „keine Antwort“.

Demgegenüber stehen autoritäre Denk- und Sprachregelungen, die tatsächlich eine zweiwertige Logik enthalten, die im wesentlichen daraus besteht, dass eine Nicht-Antwort als eine Antwort interpretiert wird bzw. als einzige Antwort die in der Frage vorgegebene Antwort möglich ist. Ein Beispiel ist die in US-amerikanischen Filmen immer wieder auftauchende Aufforderung bei einer Trauung, entweder Gründe gegen die Trauung vorzubringen oder für immer zu schweigen. Diese Aufforderung (die als starke Form einer Frage anzusehen ist, nämlich von: „Hat jemand einen Grund …?“) dient in diesen Filmen zumeist dazu, dem in der Regel männlichen Helden die Gelegenheit zu geben, durch eine erneute Liebeserklärung die geliebte Frau in letzter Sekunde den Armen des Rivalen zu entreißen. Darüber hinaus ist diese Frage bzw. Aufforderung – zumindest in zivilisierten Ländern – ohne jede Bedeutung, da rechtliche Gründe, die gegen eine Ehe sprechen (z. B. Bigamie), auch nach der Eheschließung gültig bleiben.

Ein zweites Beispiel dieser zweiwertigen Logik war der Like-Button bei Facebook, der bis 2016 trotz massiver User-Kritik die einzige Kommentar-Möglichkeit war, außer „für immer zu schweigen“. Auch heute noch gibt es kein „Dislike“, sondern eine Auswahl zwischen sechs verschiedenen Kommentar-Icons. Diese Auswahl ist jedoch insofern völlig irrelevant, als es für Facebook nur um ein Ziel geht: die User möglichst lange auf den Seiten des Unternehmens zu halten und gleichzeitig durch das Anklicken eines Buttons das für Werbekunden attraktive Tracking des Nutzers zu optimieren. Aus dieser Sicht ist auch eine andere als die Like-Kommentierung immer nur eines, nämlich die Bestätigung der Schaffung von Relevanz durch Facebook.

Die zweiwertige Logik – zuzustimmen oder zu schweigen – findet sich aber nicht nur online oder in Spielfilmen, sondern ist auch charakteristisch für die Denkhaltung von Rechtsradikalen oder Präsidenten, wenn sie es als Verletzung der Meinungsfreiheit deklarieren, dass ihnen jemand widerspricht. Bereits in der Anwendung dieser zweiwertigen Logik – stimme mir zu oder halt den Mund – artikuliert sich eine zutiefst autoritäre, ja diktatorische Haltung, angesichts derer es nachgerade erholsam und intellektuell bereichernd ist, wenn ein Fußballer über die Rolle von Glück und Pech spricht.

« Ältere Beiträge Neuere Beiträge »

© 2025 Heulen Eulen?

Theme von Anders NorénHoch ↑