Eigentlich erklärt der Darwinismus den Wandel der genetischen Ausstattung einzelner Arten recht schlüssig: Es kommt erstens immer wieder zu zufälligen (wenn Menschen als Tier- oder Pflanzenzüchter auftreten, auch geplanten) Mutationen der Erbanlagen, was zweitens in den meisten Fällen keine Auswirkungen hat, in einigen Fällen aber auch dazu führt, dass diese neue genetische Variation den jeweiligen Tieren oder Pflanzen in einer gegebenen Umwelt einen Überlebensvorteil bietet – entweder durch die Besetzung einer neuen ökonomischen Nische oder durch die Verdrängung schlechter angepasster Arten. So weit so einfach.
Schon bei vielen Tieren kommt jedoch ein zusätzlicher Faktor ins Spiel, der vielleicht am besten unter den Begriff „Ästhetik“ gefasst werden kann. Darunter ist zu verstehen, dass einzelne körperliche Merkmale, die in der Konkurrenz mit anderen Arten ohne Bedeutung sind, für die Konkurrenz in der eigenen Art entscheidend sein können, so dass das entsprechende Merkmal eine ständig stärkere Ausprägung erhält. Als Beispiel kann etwas das Hinterteil eines Pavians dienen, dessen Größe und Leuchtkraft weniger mit der Anpassung an Umweltbedingungen zu tun hat als vielmehr den potentiellen Sexualpartnern signalisiert, dass es sich bei diesem Individuum um ein besonderes, z. B. besonders starkes, fürsorgliches, vermehrungsfähiges u. ä. Tier handelt. In diesem Fall haben Tiere mit der entsprechenden genetischen Ausstattung eine bessere Chance, sich fortzupflanzen, und die – hier: – leuchtenden Hinterteile werden sich stärker verbreiten als die blasseren Exemplare. Ein solches Signal kann zutreffen oder nicht, kann in Bezug auf die Umweltanpassung irrelevant oder sogar schädlich sein. Als Beispiele für letzteres können bestimmte Vogelarten dienen, bei denen wie etwa im Fall des Pfaus ein prächtiges Federkleid die Paarungschancen erhöht, gleichzeitig aber diese Tiere leichter zum Opfer von Fressfeinden macht.
Auch beim Menschen spielt die Ästhetik insbesondere dann, wenn sie als Zeiger des sozialen Status‘ (miss)verstanden wird, eine große Rolle. Wenn etwa der Großteil der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeitet und dort von der Sonne braun gebrannt wird, ist Blässe das Merkmal derjenigen, die nicht im Freien arbeiten müssen, d. h. Symbol des höheren sozialen Rangs. Blässe ist dann schön. Mit dem Industriezeitalter, in dem die Arbeiter sich entweder in Fabriken oder lichtlosen Mietskasernen aufhalten, wird die gebräunte Haut zum Merkmal derjenigen, die viel Freizeit haben, in sonnigen Ländern Urlaub machen können und somit einen hohen Status aufweisen. Braun sein heißt dann schön sein. In diesem Fall steigert die genetisch verankerte dunklere Haut oder die Eigenschaft, schnell braun zu werden, die Attraktivität der jeweiligen Personen und damit die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese genetische Disposition besser verbreitet.
Weniger direkt mit dem sozialen Status sind andere körperliche Merkmale verbunden, die als schön oder weniger schön angesehen werden. Aber auch diese – wie etwa die Größe der weiblichen Brust oder die Nasenform – haben über ihre Bewertung als schön oder nicht schön Auswirkungen auf den Status der betroffenen Personen: „Schöne“ Menschen haben bessere Chancen auf dem Markt der Partnerwahl und können so leichter ihren Status erhöhen und haben aufgrund der damit verbundenen besseren sozialen und ökonomischen Lage auch mehr Möglichkeiten, ihre entsprechende genetische Ausstattung zu verbreiten. Kurzum: Sind Stupsnasen ein kulturell tief verwurzeltes und nicht nur einer vorübergehenden Mode geschuldetes Schönheitsmerkmal, ist zu erwarten, dass sich in dieser Population Stupsnasen weit verbreiten werden. Soweit eine kurze darwinistische Betrachtung der Bedeutung von Ästhetik und der daraus resultierenden Auswirkungen auf die Verbreitung körperlicher Merkmale.
Mit dem Aufkommen der Schönheitschirurgie ändert sich die Bedeutung körperlicher Merkmale fundamental. Nun ist das Individuum nicht mehr passiv seiner genetischen Ausstattung unterworfen, der zwar mit Kosmetik u. ä. nachgeholfen werden kann, im wesentlichen aber unveränderlich ist, sondern es können die der ästhetischen Beurteilung unterliegenden Merkmale gezielt verändert werden. Dies hat einschneidende Konsequenzen insbesondere in solchen Gesellschaften, in denen es zum Konsens gehört, den körperlichen Unzulänglichkeiten mit operativen Maßnahmen abzuhelfen. Als ein Beispiel unter unzähligen mag der Iran dienen, wo nur Frauen mit gerader Nase als schön gelten, der Nasenhöcker aber weit verbreitet und deshalb die Nasenkorrektur eine quasi alltägliche Maßnahme ist. Eine Nasen-OP ist umso wahrscheinlicher, je „hässlicher“ eine Nase ist und je besser der soziale und damit ökonomische Status der Betroffenen ist, da für arme Menschen die Möglichkeit des Aufstiegs und damit der Anreiz für einen Einsatz operativer Maßnahmen geringer ist.
Die Auswirkungen der Schönheits-OP auf die Verteilung genetischer Merkmale sind leicht zu erahnen: Da sich in erster Linie diejenigen operieren lassen, deren Nase besonders weit vom gängigen Schönheitsideal entfernt ist und zugleich über einen tendenziell höheren ökonomischen Status verfügen, verschiebt sich das Konkurrenzverhältnis auf dem Heiratsmarkt zuungunsten derer, die bereits von Natur aus über eine gerade Nase verfügen. Das Schönheitsideal der geraden Nase wird daher dazu führen, dass immer mehr Personen mit einer Höckernase geboren werden.
Schönheits-OPs konterkarieren also das beschriebene Modell der darwinistischen Selektion und verkehren es tendenziell ins Gegenteil. Anders gesagt: Die Natur lässt sich nicht von Chirurgen überlisten, sondern gibt deren Bemühungen als Karikatur der zugrundeliegenden Ästhetik zurück. Von den Göttern ist daher zur Zeit ein lautstarkes Lachen zu hören, so denn jemand über entsprechend feine Ohren verfügt.
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