Immer wieder ist zu lesen, dass eine bestimmte Wortwahl quasi hinter dem Rücken der Leser bzw. Zuhörer diese zur Übernahme einer bestimmten Denkweise verleiten will (sog. Framing). Wesentlich seltener hingegen wird die ganz offene Zerstörung eines konventionellen Inhalts von Wörtern zu ebendiesem Zweck thematisiert. Was ein Grund ist, genau dies zu unternehmen.

Besonders deutlich wird die Sprachmanipulation bei der Auflösung bzw. Zerstörung komplexer Formeln, was an einem Beispiel aus dem Bereich der Hendiadyoin illustriert werden soll. Ein Hendiadyoin ist eine Konstruktion, bei der zwei Begriffe einen dritten repräsentieren. Wenn jemand in einer Prüfung mit Pauken und Trompeten (= nicht nur knapp, sondern ganz und gar) durchfällt, kann es sein, dass Hinz und Kunz (= jeder) davon erfährt, woraufhin der Betreffende mit Sack und Pack (= mit allen Besitztümern) in eine unbekannte Ferne zieht. Eine Auflösung dieser Hendiadyoin läge dann vor, wenn im obigen Satz etwa von Trompeten und Pauken die Rede wäre, von Hinz, Kunz und Karl-Heinz oder von Sack, Pack und Unterwäsche.

Im folgenden soll von einem speziellen Hendiadyoin die Rede sein: der mantraartig angeführten Anrede „Meine Damen und Herren und alle dazwischen und außerhalb“ des Jan Böhmermann in seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“. Im Kern ist das konventionelle „Meine Damen und Herren“ ja nichts anderes als die höflichere Version von „Hallo Leute“. Was kann also die veränderte Formulierung bedeuten?

Wenn „Damen und Herren“ identisch mit „Leuten“ oder auch „allen im Saal und an den Empfangsgeräten“ sind, dann handelt es sich bei den „dazwischen“ um eine Teilmenge der „Leute“ und bei denjenigen „außerhalb“ um eine Menge an Personen, die nicht zu den „Leuten“ gehören. Die erste Gruppe ist noch recht einfach zu identifizieren: Es sind „Leute“, die über die eher distanziert wirkende Formulierung „Damen und Herren“ hinaus eine besondere Nennung verdienen; es kann sich also nur um Personen handeln, die mehr sind als bloße „Leute“, also etwa „Freunde“.

Keine bloße Teilmenge der „Leute“, sondern eine zusätzliche Personengruppe sind diejenigen „außerhalb“. Und wenn jemand „außerhalb“ von „allen“ steht, muss es sich konsequenterweise um eine qualitative Markierung handeln, d. h. um Personen, die so weit über oder unter den „Leuten“ stehen, dass sie einer eigenen Benennung bedürfen. Daraus ergeben sich zwei mögliche Bedeutungen. Die eine Möglichkeit ist jedem bekannt, der einmal an einer politischen oder akademischen Festveranstaltung teilgenommen hat. Denn dort unterliegt die Anrede der Anwesenden einem strengen formalen Code: Zunächst wird der Gastgeber, der Jubilar etc. persönlich angesprochen, dann geht der Gruß an die Eminenzen und Exzellenzen, und erst zuletzt heißt es „Meine Damen und Herren“. Mit den Personen „außerhalb“ können also die Eminenzen und Exzellenzen gemeint sein; der kulturell-politische Hintergrund der Fernsehsendung macht es jedoch relativ unwahrscheinlich, dass Herr Böhmermann tatsächlich irgendwelche Exzellenzen hervorheben will.

Damit bleibt nur der entgegengesetzte Pol der sprachlichen Separierung von Menschen: sie befinden sich so weit unter den „Leuten“, dass diesen die Zusammen-Nennung nicht zugemutet werden kann. Damit kann die skizzierte Auflösung des Hendiadyoin „Meine Damen und Herren“ wie folgt übersetzt werden: „Hallo Leute, liebe Freunde, liebe Neger!“ Damit wird eine Anrede imitiert, die bereits 1962 wohl von journalistischer Seite dem damaligen Bundespräsidenten Lübke angedichtet wurde. Nur die „Freunde“ sind neu. Es gibt also immer noch sprachliche Entwicklungen, die uneingeschränkt begrüßt werden können – man sollte Hierarchien, die man haben will, auch sprachlich markieren. Es bleibt aber die Frage, ob man dafür ein Hendiadyoin zerstören muss.