Bei der Niederschrift dieser Kolumne habe ich gezögert, ob ich sie „Landwirtschaft“ oder „Unsinn“ betiteln sollte. Denn darum geht es: die aktuelle Nonsense-Debatte über die Lage der Bauern und – noch schlimmer – die von keinerlei Sachverstand getrübte, nachgerade obszöne Nachgiebigkeit der (grünen) Politik gegenüber (einem Teil) dieser Berufsgruppe. Bevor ich aber zur Landwirtschaft selbst komme, müssen ein paar grundsätzliche Anmerkungen darüber gemacht werden, was unter Unsinn zu verstehen ist.
Denn nicht jeder Unsinn ist wie der andere. Bei manchem Irrglauben fragt man sich, warum bestimmte Dinge von den meisten Menschen einfach als wahr akzeptiert werden, in anderen Fällen liegt zumindest eine fehlgeleitete Ableitung aus tatsächlichen Problemen nahe und manchmal ist gleich gar keine Erklärung mehr möglich, wenn man sich nicht auf eine Art Psychologisierung zurückziehen möchte. Gerade letzteres zeigt, dass nachweisbar falsche Annahmen zur Realität immer auch interpretiert werden müssen, um mit ihnen adäquat umgehen zu können.
Dies kann auch in einem Scheitern resultieren. Wer etwa glaubt, sich ernsthaft mit Flacherdlern auseinandersetzen zu sollen, also mit Personen, die davon ausgehen, dass die Erde eine Scheibe ist und die Annahme einer Kugelform Ausdruck einer großen Verschwörung, landet schnell bei einem Rekurs auf mathematisches Grundschulwissen und dem Amüsement über die grenzenlose Blödheit eines solchen Denkens, und das heißt: beim Ende jeder Kommunikation. Dasselbe gilt etwa beim Glauben, dass reptilienartige Außerirdische (Reptiloide) in den Körpern der von ihnen besetzten Menschen leben, oder beim Adrenochrom-Mythos.
Etwas komplizierter wird es beim Blick auf anderen Unsinn. So ist es einerseits jenseits jeden Zweifels, dass etwa Homöopathie und andere Alternativ-Heilmittel faktisch nichts anderes sind als Ausdruck beutelschneiderischer Quacksalberei. Andererseits werden dadurch auch wichtige soziale (nicht: medizinische) Funktionen erfüllt. Zum einen positioniert sich das Konsumieren von Globuli in expliziten Gegensatz zu der modernen Vorstellung, es gäbe externe wie interne Faktoren, die autonomen Gesetzmäßigkeiten folgen und nicht der auf die Einzelperson zentrierten ganzheitlichen Weltkonzeption entsprechen; konkret: für manche muss es eine grauenhafte Vorstellung sein, von Bakterien und Viren bevölkert zu sein, die nicht den obersten Lebenszweck haben, ihrem Wirt zu dienen. Wie beruhigend ist es doch dann, Krankheiten auf der rein „geistigen“ und bloß nicht auf der materiell-physischen Ebene zu bekämpfen. So bleibt einem in einer zerklüfteten und konfliktbeladenen Lebenswelt wenigstens ein Bereich, in dem man ganz bei sich ist und nicht mehr mit feindseligen Gegenspielern – im Inneren: Krankheitserreger, im Äußeren: Pharmaindustrie, Ärzten usw. – konfrontiert ist. Zum anderen sind Globuli der willkommene Mittelweg zwischen zwei schlechten Wahlmöglichkeiten, nämlich nichts zu tun, also weiter krank zu sein, oder wirksame Medikamente zu nehmen, die Nebenwirkungen aufweisen können. Der Mittelweg besteht dann darin, etwas zu tun, ohne etwas zu tun: wirkungslose Präparate damit zu rechtfertigen, dass sie keine Nebenwirkungen haben (was sich aber schon aus dem Tatbestand der Wirkungslosigkeit ergibt). Auch dieser Aspekt ist gelebte soziale Realität, indem in vielen Bereichen dem wirkungslosen Handeln der Vortritt gelassen wird, weil Wirkungen immer mit dem Risiko von Nebenwirkungen behaftet sind.
Ganz ähnlich können auch Astrologie und andere Formen von Unsinn diskutiert werden; auch hier artikuliert sich faktischer Nonsens, der trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb eine wichtige individualpsychologische und soziokulturelle Funktion hat: nämlich einer als problematisch empfundenen Lebenssituation wenigstens etwas Sinn zu verleihen und damit auch tatsächliche Veränderungen nicht mehr als so dringlich erscheinen zu lassen.
Die dritte Form von Unsinn ist weitaus weniger sichtbar als die bisher erwähnten. Und damit sind wir bei den aktuellen Diskussionen um die Landwirtschaft, genauer: um das Ausmaß an Subventionen. Besonders albern ist dabei der Vorschlag, man könne ja auf Subventionen verzichten, wenn der Handel den Bauern bessere Preise zahle. Wer so etwas vorschlägt, geht wohl davon aus, dass Herr Lidl und Frau Edeka nur ihren Profit reduzieren müssten, um das Problem der Subventionen zu lösen.
Nun hat gerade der Lebensmitteleinzelhandel mit die geringste Umsatzrendite aller Unternehmenstypen; nicht nur deshalb kann man davon ausgehen, dass höhere Preise für die Bauern immer mit höheren Preisen für die Konsumenten einhergehen. Und während Subventionen über Steuern finanziert werden und damit zumindest theoretisch auf dem Beitrag aller Steuerzahler basieren, wirken sich höhere Lebensmittelpreise in erster Linie bei denjenigen aus, die den größten Teil ihres Einkommens für Essen ausgeben müssen, d. h. den ärmeren Menschen.
Aber auch wenn wir dieses Gerechtigkeitsproblem vernachlässigen, ist die grundlegende Tatsache offensichtlich: heutige Landwirtschaft ist ohne Transferzahlungen aus anderen Wirtschaftsbereichen nicht möglich – egal, ob über Subventionen oder künstlich erhöhte Preise finanziert. Das kann man wissen, wenn man einen auch nur oberflächlichen Blick in ein Handbuch für Agrarökonomie wirft. Dann erfährt man, dass in einer entwickelten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft das Rentabilitätsproblem der Landwirtschaft zwar in einem gewissen Ausmaß und vorübergehend durch die Vergrößerung der Betriebsflächen gelindert werden kann, dass dies aber an seine natürlichen Grenzen stößt und letztlich die Notwendigkeit von Transferleistungen, soll die aktuelle Form von Landwirtschaft aufrecht erhalten werden, nicht beendet.
Zudem wird meist nur der kleinste Teil der Subventionen überhaupt wahrgenommen. Zwar sind neben den direkten Zahlungen an Landwirte etwa Steuerermäßigungen bekannte Formen von Subventionen; auch das Abschotten des Binnenmarkts durch Zölle, das zu höherem Einkommen bei Landwirten und höheren Preisen für Konsumenten führt, ist als eine Form des Einkommenstransfers von Verbrauchern hin zur Landwirtschaft meist bekannt.
Weniger offensichtlich sind aber die indirekten, nicht produktionsbezogenen Subventionen. Dazu gehören in erster Linie die verschiedenen Elemente der Infrastruktur. So sind die staatlichen Investitionen in das Wegenetz, die Strom- und Wasserversorgung oder Schulen pro Person auf dem Land um ein Vielfaches höher als in einer Großstadt. Das wird auch dadurch augenfällig, dass Versorgungseinrichtungen, die nicht staatlich vorgehalten werden – Internet, Einzelhandel, Sparkassen, Ärzte, Gaststätten usw. –, in zunehmendem Maße aus dem ländlichen Raum verschwinden oder gar nicht erst angeboten werden, was auch und insbesondere aus der Schwäche der ländlichen Ökonomie und damit nicht zuletzt der Landwirtschaft resultiert.
Interessanterweise werden letztere Aspekte aus den Debatten um die „Bauern“ sorgfältig herausgehalten, denn zu groß erscheint wohl die Gefahr, dass die städtische Bevölkerung dieser ihrer exorbitanten Belastung durch eine aus sich heraus nicht mehr lebensfähige regionale Ökonomie bewusst werden könnte. Damit verschiebt sich das Problem jedoch nur in die Zukunft; irgendwann muss es erst wahrgenommen und dann gelöst werden. Und die Lösung liegt selbstverständlich nicht in einer weiter bewusst- und kenntnislosen Finanzierung einer überkommenen Lebenswelt, sondern zunächst in der Anerkenntnis der Realität einer unausweichlichen Abhängigkeit von Transferleistungen aus den Städten und dann in einer gezielten und an konsistente Vorgaben gebundenen Steuerung der Landwirtschaft im Interesse der Transferleistenden.
Dies könnte schließlich in einer Art Gesellschaftsvertrag mit der Landwirtschaft resultieren, in dem Transferleistungen und die dafür zu erbringenden Gegenleistungen bei Produktionsformen, Produkten und Tätigkeiten etwa in der Landschaftspflege, im Tierschutz oder im Tourismus geregelt werden. Dann gäbe es immerhin einen Unsinn weniger.
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