Immer wieder wird – insbesondere aus den Kreisen von „Querdenkern“ und ähnlichen Personen – die mangelnde Meinungsfreiheit hierzulande beklagt. Unzweifelhaft ist dies aus drei Perspektiven falsch.

1. Was gemeint sein könnte, aber sicher nicht zutrifft

Der erste Punkt ist der offensichtlichste und kann daher schnell abgehakt werden. Denn bereits der performative Charakter der Klage, d. h. die andauernde Betonung der mangelnden Meinungsfreiheit auf allen verfügbaren Kanälen, auf Demonstrationen und in Talkshows führt diese Klage ad absurdum.

2. Was nicht gemeint ist, aber wohl zutrifft

Der zweite Punkt ist demgegenüber weitaus interessanter. Dies fängt bereits mit dem im Wortsinne falschen Verständnis von Meinungsfreiheit an, die ja korrekt Meinungsäußerungsfreiheit heißen müsste. Denn – so die enger gefasste Bedeutung von Meinungsfreiheit – was jemand meint, ohne es zu äußern, könne ja nicht verhindert werden. Das ist auch z. B. der Inhalt des bekannten Volksliedes „Die Gedanken sind frei“, wenn es in der heute bekannten Variante in der ersten Strophe heißt: „Kein Mensch kann sie [die Gedanken] wissen, kein Jäger erschießen, es bleibet dabei: die Gedanken sind frei.“ Und in der zweiten Strophe wird dies noch vertieft: „Ich denke, was ich will, und was mich beglücket, doch alles in der Still, und wie es sich schicket.“

Aus dieser Perspektive sind also „Gedanken“, die hier als synonym mit „(nicht geäußerten) Meinungen“ angesehen werden sollen, grundsätzlich frei, da uneingeschränkt privat und nicht kontrollierbar.

Wenn man sich da mal nicht täuscht. Denn Meinungs- oder Gedankenfreiheit bedeutet ja, dass andere von deren Inhalt nichts wissen und erst recht nicht aufgrund dieses Wissens versuchen, die Gedanken zu manipulieren. Ein einfacher Blick auf die Werbung auf zahlreichen Webseiten zeigt, dass Unternehmen und andere Organisationen die privatesten Einstellungen, Gedanken und Meinungen des einzelnen kennen, ohne dass diese auch jemals geäußert wurden. Allein das Verhalten (hier: der Besuch von Webseiten und die Dauer und der Ablauf dieses Besuchs) reicht für weitreichende Kenntnisse der Denkweisen der einzelnen aus.

Insofern ist es ein Ausweis krassester Realitätsferne, den Inhalt des zitierten Liedes als für auch heute gegeben anzusehen. Unbefangen und sich unbeobachtet wähnend zu surfen, klappt nur, wenn bewusst alles ausgeblendet wird, was über digitales Ausforschen bekannt ist, es also nicht wissen zu wollen. Von Meinungsfreiheit kann demgegenüber berechtigterweise nur derjenige sprechen, der im (nicht-digitalen) Wald sitzt und unbemerkt vor sich hin sinniert.

Aber all das ist überhaupt nicht gemeint, wenn über einen Mangel an Meinungsfreiheit geklagt wird.

3. Was ganz sicher gemeint ist und auch zutrifft

Tatsächlich geht es um etwas ganz anderes: nämlich um Widerspruch bzw. den Umstand, dass unter fehlender Meinungsfreiheit verstanden wird, dass jemandem widersprochen wird. Oder noch schlimmer: dass jemand für den geäußerten Unsinn kritisiert oder gar ausgelacht wird.

Nur hat das wenig mit Meinungsfreiheit, sondern mehr mit narzisstischer Kränkung zu tun. Und das ist dann kein Thema mehr für diesen Blog.