Kürzlich unternahm es die „tageszeitung“ (taz), das Auftrittsverbot für eine Sängerin durch die Hannoveraner Fridays-for-Future-Ortsgruppe zu rechtfertigen. In zwei ebenso weinerlichen wie intellektuell armseligen Artikeln (Fatma Aydemir: Verkürzt und verspottet. In: taz.de/Ausladung-wegen-Dreadlocks/!5841132/ abgerufen 24.3.22; Leon Enrique Montero: Dreads auf dem falschen Kopf. In: taz.de/Kulturelle-Aneignung-bei-FFF-Demo/!5840424/ abgerufen 25.3.22) wurde die Frisur der Sängerin als kulturelle Aneignung kritisiert, die es zu bekämpfen gelte. Zahlreiche Leserbriefe wiesen auf die sachlichen wie logischen Fehler dieser Artikel hin. Doch in einem Punkt muss man der taz einfach recht geben: Es gibt Versuche der kulturellen Aneignung, und zwar nicht zu knapp. Und es ist auch kein Zufall, dass der Begriff „kulturelle Aneignung“ lautet.
Gehen wir dazu systematisch vor. Was unter „Kultur“ zu verstehen ist, ergibt sich aus dem Zusammenhang: es geht um die sog. immaterielle Kultur, also Frisuren, Stoffmuster, Musikformen, Sprache usw. „Aneignung“ wiederum kann übersetzt werden als Übergang in jemandes Eigentum oder Besitz. Eigentum ist „die rechtliche Herrschaft an einer Sache“ (wikipedia.de), während Besitz bedeutet, dass „jemand tatsächlich über eine Sache verfügt, sie in seiner Gewalt hat.“ (ebd.) Wer sich also etwas aneignet, hat die Verfügungsgewalt über eine Sache, kann sie anderen überlassen oder auch nicht und bestimmt allgemein über deren Verwendung.
Was noch fehlt, ist zu klären, wenn etwas in jemandes Eigentum übergeht, wer der ursprüngliche Inhaber der Sache ist, von wem also etwas angeeignet wird. Der entscheidende Punkt ist nun, dass es keine ursprünglichen Eigentümer gibt und die sog. Aneignung überhaupt keine Aneignung ist, da etwa die Sängerin nie beabsichtigt hat, ihre Frisur (etwa in Form geistigen Eigentums oder via Patentrecht) irgendwie mit Eigentumsrechten zu verknüpfen. Vielmehr geht es hier um die Nutzung von immateriellen Kulturgütern als freie Güter, als Dinge, die allen Menschen kostenlos zur Verfügung stehen und entsprechend genutzt werden können.
Warum kann man aber trotzdem davon sprechen, dass kulturelle Aneignung (bzw. der entsprechende Versuch) stattfindet? Die Antwort liegt auf der Hand: indem jemand – etwa die Lea-Mareikes (Dank an A. für den Hinweis auf mehrere Memes) der Hannoveraner FFF-Ortsgruppe – einer Person, die ein freies Kulturgut für sich nutzt, ebendiese Nutzung untersagen will. Und dies ist nur dann möglich, wenn ein exklusiver Nutzungsanspruch besteht, den man jemandem versagen oder gewähren kann. Die kulturelle Aneignung findet also durch exakt diejenigen Personen statt, die anderen durch einen solchen Vorwurf die Nutzung immaterieller Kulturgüter untersagen oder vorschreiben wollen. Und die taz-Artikel sind nichts anderes als Versuche, freie Güter in das Eigentum (oder den Besitz) bestimmter Personengruppen zu transformieren.
Insofern passen diese Bestrebungen sehr gut in aktuelle Entwicklungen, die alle Aspekte menschlichen Lebens in kommerzialisierbare Eigentumsformen überführen wollen. Und wieder einmal steht diese Zeitung an der Spitze der Kolonialisierung des Alltags.
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