Als der Springer-Vorstandsvorsitzende Döpfner seinen Bild-Chef Reichelt loben wollte, betonte er, dieser sei „der letzte und einzige Journalist in Deutschland, der noch mutig gegen den neuen DDR-Obrigkeitsstaat aufbegehrt. Fast alle anderen sind zu Propaganda-Assistenten geworden“. Auf die darauf antwortende Kritik nicht nur der diffamierten Presseorgane und Vermutungen bezüglich seiner Geisteshaltung reagierte Döpfner mit den Worten: „Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich absolut nicht so denke.“ (zit. n. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/springer-chef-doepfner-rechtfertigt-seine-nachricht-im-interview-17626126.html) Dieser Umgang mit der aus seiner Sicht missglückten Kommunikation mit der Öffentlichkeit ist in zweierlei Hinsicht ebenso traditionell wie aus der Zeit gefallen, dies zum einen, weil er von seinem „Denken“ spricht, und zum anderen, weil er sich überhaupt so verteidigt. Beide Aspekte sollen im folgenden erörtert werden.

Zunächst zum zweiten Punkt. Wenn wir Kommunikation als einen Vorgang verstehen, bei dem jemand – der Sender – einen Inhalt an jemand anderen – den Empfänger – übermittelt, dann repräsentiert der zitierte Satz eine (gewollte oder vermeintliche) Fehlkommunikation und den Versuch, das Problem dadurch zu beheben, dass der Sender dem Empfänger ein Missverstehen vorwirft.

Denn, so Döpfner, wenn ihn jemand kennen würde, würde er ihn nicht missverstehen; es ist demnach die Aufgabe des Empfängers, dafür zu sorgen, dass er ihn nicht missversteht. Ganz ähnlich funktionieren die „Tabubrüche“ auf rechtsradikaler Seite, wo etwa nach menschenfeindlichen Äußerungen die Missverständnis-Karte gezogen wird. Auch die hingebungsvolle Bereitschaft vieler Politiker, die dümmsten und widerlichsten Äußerungen als „Sorgen“ der Bürger zu exkulpieren, reflektiert dieses Kommunikationsverständnis. Es ist offensichtlich der Sender, der entscheidet, wie die Kommunikation zu verstehen ist; er dominiert die Kommunikation.

Diese Haltung, diese Form der Hierarchisierung der Kommunikation ist heute schon fast altmodisch, sie wird mittlerweile durch eine andere Kommunikationshierarchie ersetzt: nämlich eine Kommunikation, in der der Empfänger dominiert und dem Sender vorzuschreiben sucht, was er sagen darf und was nicht. Das sind dann Sprachvorschriften, weil sich jemand „nicht gemeint“ fühlt, falsch angesprochen sieht, ja durch bestimmte Wörter beschimpft oder diskriminiert fühlt. Eine solche Wahrnehmung von Kommunikation schreibt dem Empfänger dass alleinige Recht der Bestimmung über die Kommunikation zu – unabhängig davon, ob der Empfänger überhaupt der Adressat war oder sich nur in die Kommunikation zwischen Dritten einmischt, um diskursive Herrschaft auszuüben.

Auffällig an diesem Kommunikationstyp ist im Gegensatz zum ersten Typ aber nicht nur der Rollentausch zwischen Sender und Empfänger, sondern auch das Wahrnehmungsmedium. Denn während etwa Döpfner von sich behauptet, zu denken, sind es auf Empfängerseite die Gefühle, die sich zu artikulieren scheinen. Dies hat sich mittlerweile zu einer regelrechten Epidemie entwickelt, kaum einer „denkt“ noch, alle „fühlen“. So reagieren etwa Fußballprofis auf die Kritik an einem schlechten Spiel seitens der Fans immer öfter damit, dass sie mit diesen mitfühlten. Und bei Katastrophen oder Attentaten betonen Politiker regelmäßig das Teilen der Gefühle der Betroffenen oder gar das Mitfühlen dieser Gefühle. Gefühle zu äußern adelt somit Kommunikation, denken hingegen scheint aus der Mode gekommen zu sein.

Beides aber ist kommunikativer Nonsens. Denn die Behauptung, dieses oder jenes zu denken oder zu fühlen, ist nichts als ebendies: eine Behauptung. Sie gibt vor, den anderen an einem psychischen Ereignis (Denken, Fühlen) teilnehmen zu lassen, ignoriert aber, dass der andere überhaupt nicht überprüfen kann, ob das zutrifft. Es muss sich nicht gleich um eine Lüge handeln, aber es übersieht den Kern von Kommunikation, nämlich einen Zweck zu haben, also eine Wirkung erzielen zu wollen. Die Behauptung, etwas zu denken oder zu fühlen, ist damit in erster Linie ein performativer, zweckorientierter Akt, kein Einblick in intime Vorgänge.

Dieser Gedanke hilft, in den beschriebenen Kommunikationssituationen nicht die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit und damit den Machtkampf aufzunehmen, sondern eine solche Form von Kommunikation ruhig und begründet zurückzuweisen und notfalls auch abzubrechen. Anschließend ist es jedem unbenommen, für sich etwas zu denken oder gar zu fühlen.