Von Karl Valentin stammt der Spruch: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Diese Erkenntnis hat die Menschen nie davon abgehalten, die Zukunft vorhersehen zu wollen. Wahrsagen war immer schon ein gutes Geschäft; vor allem in Krisenzeiten will man wissen, was passieren wird. Und wer hat nicht schon manchmal vor sich hin gestöhnt: „Wenn ich das vorher gewusst hätte …“
Zwei aktuelle Bespiele zeigen die Wirkmächtigkeit eines solchen Denkens. So titelte die Bildzeitung am 8.6.2018 anlässlich eines Mordfalls: „Wenn er abgeschoben worden wäre … würde sie noch leben.“ Und das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz erweitert das Spektrum polizeilicher Eingriffsmöglichkeiten über die bisherige „konkrete Gefahr“ hinaus um die „drohende Gefahr“. In beiden Fällen geht es darum, durch eine Art höhere Form des Wahrsagens festzustellen, ob jemand in der Zukunft ein Verbrechen begehen wird, um dieses dann zu verhindern.
Die Grundidee und die Konsequenzen eines solchen Zugangs zur Bekämpfung von Kriminalität wird idealtypisch in Steven Spielbergs Spielfilm „Minority Report“ (2002) dargestellt. In diesem Film und in der ihm zugrundeliegenden Kurzgeschichte von Philip K. Dick geht es um das (fiktive) „Precrime“-Programm der Stadt Washington, in dem die drei Überlebenden eines gentechnischen Experiments – Agatha und die Zwillinge Arthur und Dashiell – Visionen zukünftig sich ereignender Morde haben, woraufhin die Polizei die – potentiellen – Täter kurz vor der Tat festnimmt und in Dauergewahrsam überführt. Das auf die Zukunft bezogene Wissen der drei in einer Nährlösung schwimmenden „Precogs“ führt dazu, dass in den sechs Jahren seit Beginn des Precrime-Programms in Washington scheinbar keine Morde mehr passieren. Es ist sicher nicht übertrieben anzunehmen, dass diese Modell von Verbrechensvorbeugung genau das ist, wovon bayerische Landesregierung und Bildzeitung träumen.
Nun ist nicht bekannt, über welche Mutanten die CSU oder die Bildzeitung verfügen – sicherlich gibt es dort zahlreiche, aber offensichtlich verfügen sie nicht über die Fähigkeit der Precogs; denn im Film findet das Eingreifen immer nur wenige Minuten vor der Tat statt, die „drohende Gefahr“ ist hingegen auf eine eher unkonkrete Zukunft gerichtet. Der Film zeigt darüber hinaus, dass auch im Falle einer tatsächlichen „Pre-Cognition“ ein solches Programm über ein entscheidendes und sehr problematisches Merkmal verfügt: dass es als Instrument der Herrschenden verwendet werden kann, eigene Verbrechen zu vertuschen.
Wenn man die Quintessenz des Films zusammenfassen will, kann sie etwa so lauten: „Wer die Zukunft definiert, beherrscht die Gegenwart.“ Und wer effektiv Ängste zu wecken vermag und zugleich die Lösung der Probleme verspricht, kann mit großer Zustimmung rechnen. Selbstverständlich gibt es zahlreiche Themen, bei denen über eine Vorhersage der Zukunft Einfluss auf die Gegenwart genommen werden soll. Wenn es etwa um den Klimawandel oder die Sicherheit des deutschen Sozialversicherungssystems (vulgo: Renten) geht, ist offensichtlich, dass es hier auch um Probleme in der Zukunft und das Handeln in der Gegenwart geht; die Reaktion hierauf reicht jedoch bei der aktuellen Politik von Leugnung bis Ignorieren. Während hier aber von Daten und der von jedem nachvollziehbaren Interpretation die Rede ist, also um öffentlich kontrollierte und letztlich demokratisch legitimierte Problemlösungen geht, handelt es sich bei der Verbrechensbekämpfung um das Wirken von Precogs, von Personen, die keine Öffentlichkeit mehr kontrolliert, sondern ihre Wahrsageleistungen direkt aus den unerwünschten Taten ableitet, also Element von Herrschaftstechniken ist.
Im Film wird das Precrime-Programm aufgrund dieses Merkmals beendet – ein Resultat, das nicht zuletzt aus dem Demokratieverständnis des Autors bzw. Regisseurs resultiert. Es ist unbestreitbar, dass dieses nicht mit den Positionen der Precogs von CSU und Bildzeitung übereinstimmt.
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