Nein, im folgenden soll es nicht darum gehen, dass Politiker von Berufs wegen Lügner sind. Auch interessiert hier nicht die Frage, in welchem Ausmaß etwa Donald Trump aus Neigung oder in Verfolgung konkreter Ziele lügt. Mit dieser Frage beschäftigt sich mittlerweile eine ganze Armada von Investigativjournalisten. Vielmehr soll nun eine viel grundsätzlichere Lüge betrachtet werden.

Man kann selbstverständlich wieder mit dem amerikanischen Präsidenten beginnen, und zwar mit seinem Slogan „America first!“. Dies ist wohl nur die radikaler formulierte Version dessen, was ein deutscher Bundeskanzler laut Grundgesetz (Art. 56/2) als Amtseid zu leisten hat: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen … werde.“ Der Slogan wie der Eid sind bereits in dem Moment, in dem sie geäußert werden, eine Lüge.

Warum ist das so? Die Antwort folgt aus der Beobachtung, was Politik in der Praxis ausmacht. Ein simples Beispiel ist etwa die Beeinflussung des Außenhandels durch Steuern und Zölle. Wenn – wie aktuell in den USA (America first!) – die Zölle für Stahl von ausländischen Herstellern erhöht werden, um einheimische Produzenten zu unterstützen, dann hat das zwei Effekte: Die Preise für einheimischen Stahl werden konkurrenzfähiger, ihr Absatz steigt, die Gewinne der Produzenten erhöhen sich und die entsprechenden Arbeitsplätze sind sicher, werden vielleicht sogar aufgestockt und auch Lohnerhöhungen sind nicht auszuschließen. Für andere US-amerikanische Unternehmen hingegen wird Stahl einfach nur teurer, sie müssen die Preise für ihre Produkte, für die Stahl benötigt wird, erhöhen (was die amerikanische Automobilindustrie bereits angekündigt hat), wodurch ihr Absatz sinkt und die dort Beschäftigten wie auch die Kunden negativ betroffen sind. Die Antwort auf die Frage lautet also ganz einfach: Jedes Handeln der Politik kennt Gewinner und Verlierer. Und das heißt, dass es kein „America“ gibt, das „first“ sein könnte, und kein „deutsches Volk“, dessen Wohl sich zu widmen jemand verspricht, sondern nur einzelne Personen, Gruppen und Organisationen, zu deren Gunsten oder Ungunsten sich eine bestimmte Politik auswirkt.

Das zentrale Problem der Politik bzw. einzelner Interessengruppen ist daher, dafür zu sorgen, dass die Unterstützung notwendigerweise partikulärer Interessen als eine Wohltat für die gesamte Bevölkerung aufgefasst wird. Die PR-Aktivitäten großer Interessengruppen (aktuell z. B. der privaten Krankenversicherungen, die in aufwendigen Zeitungsanzeigen betonen, dass ohne sie der medizinische Fortschritt und auch die Versorgung von Kranken gefährdet seien) zeugen augenfällig von diesem Problem und seiner Lösung. Die beste Lösung dieses Problems ist jedoch eine andere: durch nationalistische Erziehung und Mobilisierung die Überzeugung zu wecken, Politik könnte überhaupt zum Wohl des (ganzen) Volkes stattfinden, und die Bevölkerung auch dann an dieses Wohl glauben zu lassen, wenn sie bzw. große Teile von ihr von einer Entscheidung benachteiligt wird. Das heißt, eine Lüge für wahr zu halten. Und wenn man sich die Mobilisierungskraft derart sich positionierender politischer Akteure ansieht, wird klar, dass die genannte Lösung funktioniert.