Der Münchener Soziologieprofessor und Systemtheoretiker Armin Nassehi (A.N.) hat am 13.7.2017 in ZEIT-Online (http://www.zeit.de/kultur/2017-07/g20-linke-gewalt-kapitalismuskritik-globalisierung-essay) einen Artikel mit dem Titel „Eine Linke braucht es nicht mehr“ publiziert, in dem er zunächst auf die dem sog. Schwarzen Block zugeschriebenen Krawalle während des Hamburg G20-Gipfels eingeht und dann das Politikmodell „der“ Linken kritisiert. Die Ergebnisse seiner Ausführungen können folgendermaßen zusammengefasst werden: Er findet die Krawalle ganz offensichtlich nicht gut, und er kritisiert das „linke“ Politikmodell, das nicht praktikabel sei, weil dessen (universalistische) Zielvorstellungen zwar – im Gegensatz zu den (partikularistischen) Zielen der „Rechten“ – prinzipiell begrüßenswert seien, aber durch die angestrebte Umsetzung über staatliche Eingriffe der Komplexität der modernen Gesellschaft nicht gerecht würden und daher nicht umsetzbar und letztlich zum Scheitern verurteilt seien.
Man könnte dieser Position nun recht einfach entgegenhalten, dass der G20-Gipfel in Hamburg all diejenigen Akteure versammelte, die – am Beispiel Syriens – ganz planvoll und sehr unkomplex das Abschlachten der Bevölkerung direkt (durch militärische Aktion) oder indirekt (durch Waffenlieferungen) betreiben oder zumindest dafür sorgen, dass die davor Flüchtenden die lebensgefährliche Flucht über das Mittelmeer antreten müssen (aufgrund der Schließung der Balkanroute) oder in Folterlagern etwa in Libyen festgehalten werden, und dass daher ein planvolles Vorgehen gegen diese Akteure nicht nur gerechtfertigt, sondern auch durchaus sinnvoll ist. Soweit die kurze Alternativerzählung zum G20-Gipfel, dessen in der Öffentlichkeit verbreitete Selbstbeschreibung in etwa so lautete: Es treffen sich die Herrscher dieser Welt (systemtheoretisch formuliert: die stärksten Organisationen des politischen Systems der Weltgesellschaft), um Probleme zu lösen, die sie nicht selbst verursacht haben.
Da A.N. jedoch den G20-Gipfel nur als Anlass verwendet, um dem „linken“ Politikmodell die als solche verstandenen Merkmale moderner Gesellschaften gegenüberzustellen, soll im weiteren ebenfalls versucht werden, eine eher grundsätzliche Position zu entwickeln. Um es vorwegzunehmen: Es muss doch verwundern, dass der „Schwarze Block“ als Beispiel für – verfehlte – „linke“ Politik angeführt wird. Dies bezieht sich nicht auf die reichlich albernen Versuche „linker“ Politiker, das Verursachen von Sachbeschädigungen als „nicht links“ zu verurteilen – albern deshalb, weil Politik als Kampf um und Einsatz von Macht und damit auch von Gewalt (von der Erzwingungshaft für Schuldner bis zu kriegerischen Mitteln) definiert ist, auch und gerade aus systemtheoretischer Perspektive. Die Verwunderung über die Gleichsetzung von „linker“ Politik und dem „Schwarzen Block“ speist sich daher aus einer anderen Quelle, nämlich aus der Betrachtung grundsätzlicher Merkmale der Proteste gegen den G20-Gipfel. Wer etwa die Großdemonstration am 8.7.2017 beobachtet hat, konnte tatsächlich Elemente der von A.N. kritisierten „linken“ Politik feststellen. Im Block der Partei „Die Linke“ wurden die bekannten politischen Forderungen dieser Partei vorgetragen, die Umweltschützer traten für besseren Umweltschutz ein und die Kurden trugen überlebensgroße Porträts des „Kurdenführers“ Öcalan.
Nichts dergleichen im Schwarzen Block. Dort wurden im wesentlichen nur zwei Parolen artikuliert: „A! Anti! Anticapitalista!“ und „Siamo tutti antifascisti!“ Beiden Parolen kann auch bei extremem hermeneutischen Wohlwollen nicht attestiert werden, einer komplexen Gesellschaftsstruktur ein simples Politikmodell überstülpen zu wollen. Die aus dem italienischen Anarchismus stammenden Parolen weisen in ihrer Sprachlosigkeit vielmehr darauf hin, dass zumindest in einem Teil der „Linken“ die Botschaft des Systemtheoretikers von der Komplexität und Nicht-Planbarkeit der Gesellschaft verankert ist. Die fast ausschließliche Negativität des politischen Engagements des „Schwarzen Blocks“ bzw. der „Autonomen“ kann daher als Verwirklichung der systemtheoretischen Gesellschaftsanalyse verstanden werden.
Aber auch dort, wo es um die praktische, d. h. konkrete Umsetzung politischer Bestrebungen geht, also um den Bereich, in dem die „Autonomen“ bisher Erfolge erziehen konnten (etwa beim Aufbau und der Einrichtung selbstorganisierter Kulturzentren), ist mit der Beschränkung auf lokale Politikziele kaum ein konzeptioneller Unterschied zur systemtheoretischen Praxis festzustellen, ist doch auch letztere auf die Regelung von Prozessen in kleinen Organisationseinheiten (etwa Krankenhäuser) beschränkt. Insofern kann festgehalten werden, dass die Kritik von A.N. an „linker“ Politik auf den „Schwarzen Block“ nicht nur nicht zutrifft, sondern sogar dergestalt umgedreht werden muss, dass dessen – ja: auch gewaltsame – Aktivitäten als konsequente Folgerung aus der systemtheoretischen Gesellschaftsanalyse verstanden werden müssen. Denn aus der Absage an eine als Gesellschaftsplanung konzipierte „linke“ Politik kann – wenn man nicht der „rechten“ Politik einer mit Mitteln politischer Macht durchgesetzten Verwirklichung von Partikularinteressen zuneigt – nur eine Konsequenz resultieren: der Aufbau einer gesellschaftlichen Gegenmacht, die diese Partikularinteressen stört und letztlich zerstört. Nichts anderes ist auch das Politikmodell des „Schwarzen Blocks“.
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